Es ist ein Wechsel mit Ansage und fast zwölfjähriger Vorlaufzeit. Dennoch hallt er wie ein grollender Paukenschlag hinab aus dem Schwarzwald: Nach 37 Jahren in der Rolle des Küchenchefs übergibt Harald Wohlfahrt, der deutsche Ausnahmekoch schlechthin, die Küchenleitung des 3-Sterne-Restaurants Schwarzwaldstube zum Sommer an seinen langjährigen Souschef Torsten Michel.
Bereits vor einigen Wochen war ich in Baiersbronn in der Traube Tonbach zu Gast und habe bei einem Dinner für Stammgäste und Freunde des Hauses den 39-jährigen bei seinem ersten Auftritt in neuer Rolle beobachten können. Davor trafen wir uns zuletzt in Berlin beim 11. Cooktank der Sternefresser. Dort agierte Torsten Michel, dem Motto des Events „Der Star à part – Die Edition der Sous Chefs“ entsprechend noch als Stellvertreter Wohlfahrts. Und schickte eine extrem aufwändige und mehrere Teller umfassende wirklich sensationelle Kreation: Eine sechsgängige Reise durch den Schwarzwald, in die Diskussionsrunde.
Bei einem Dinner für Stammgäste und Freunde der Traube Tonbach im März drehte sich der Abend dann eher um die klassischen Gerichte des Hauses, teilweise freier interpretiert und, für die doch recht große Zahl der Gäste, leicht vereinfacht und unter Einbindung des Teams aus dem Hotelrestaurant serviert. Das Signal dabei war klar: Veränderung und Bewahrung der Tradition gehen hier Hand in Hand.
Während des Abends hatte ich das Glück auch in der Küche dabei sein zu können und dem Treiben am Pass live zuzuschauen. Natürlich war Torsten Michel an diesem Abend eine leichte Anspannung anzumerken, er spricht lieber von „vollkommener Fokussierung auf die vor ihm liegende Aufgabe“. Die übrigens großartig gelungen ist. Statt der sonst 35 Plätze umfassenden Schwarzwaldstube wurden an diesem Abend über hundert Gäste im deutliche größeren Restaurant Silberberg bedient. Die Stimmung in der Küche war dennoch ruhig und konzentriert, die vielen kleinen Aufgaben gut verteilt, die Ansangen von Torsten Michel klar und präzise.
Den Auftakt machte ein aufwändiger Reigen von Amouse, die zum Empfang in der Bar der Traube Tonbach serviert wurden. Patron Heiner Finkbeiner lies es sich dabei nicht nehmen Torsten Michel zumindest bereits halboffiziell ins neue Amt zu heben.
Die Traube Tonbach ist ein, im wahrsten Sinne des Wortes, klassisches Hideaway. Eingebettet in die wunderschöne Landschaft des Schwarzwalds, verteilt sich das Anwesen über verschiedene kleine und große Häuser. Manche modern und klar, andere wirken wie aus einer anderen Zeit, aber durchaus im positiven Sinne. Auch hier ist die Devise der langsamen Veränderung spürbar. Keine großen Sprünge, die hohe Qualität halten und in Details langsam verändern und zaghaft modernisieren. Die Gäste die seit vielen Jahrzehnten das Haus besuchen langsam mitnehmen, gleichzeitig genug zeitgemäße Akzente für ein neues Klientel setzen. Keine ganz einfache Gratwanderung.
Das Menü startete mit Scheiben von Sankt-Jakobsmuscheln mit kleinen Schalentieren in Algengelee, Imperialkaviar und Limonenmarinade. Ein Gericht, das nur so strotzt von großartigen und hochwertigen Meeresprodukten. Natürlich werden sofort die typischen Assoziationen an einen Tag am Meer geweckt – aber auf eine ungewohnt intensive und dichte und fesselnde Weise. Aromen und Texturen spielen perfekt ineinander und der wahrlich üppige portionierte Kaviar, sowie die vielen fragilen Komponenten, lassen ein Gericht zum Schwelgen und Eintauchen entstehen.
Seit 25 Jahren hält die Schwarzwaldstube drei Sterne, die höchste Auszeichnung des Guide Michelin. Fünf der zehn 3-Sterne-Köche in Deutschland standen bei Harald Wohlfahrt am Herd. Insgesamt 80 Sterne haben ihren Ursprung in seiner Küche.
Es folgen Medaillons vom bretonischen Hummer mit Corail-Emulsion und Kokoscrème, kreolischer Escabeche-Sud. Erneut ein Gang mit beeindruckender Produktqualität – und Quantität. Das ist große klassische Küche, mit leichten frischen Akzenten. Weit weg von den aktuellen Trends und Moden. Wunderbar.
Die mildgeräucherte Atlantik-Lachstranche auf geschwenkten Gartengurken, Kräutern und Rotweinsauce mit Senfsaat und Dill ist dann ein leichter Ausblick auf eine etwas modernere Gangart. Handwerklich perfekt gearbeitet, aromatisch frisch und durch die Kombination mit einer Rotweinsauce um eine kontrastierende Tiefe ergänzt.
Ganz klassisch geht es im Hauptgang weiter: Gefüllte Entenbrust aus den Dombes mit glasierten Spitzmorcheln und jungen Erbsen, Entenjus mit gehacktem Trüffel. Das ist schwerer und intensiver Wohlgeschmack gepaart mit erneut herausragenden Produkten. Und sicherlich ein Gericht, dass die langjährigen Hausgäste begeistern dürfte. Mich übrigens auch.
Das Gin-Tonic-Sorbet „Monkey 47“ auf eingelegten Früchten in Earl-Grey-Sud fand seine Premiere auf dem Eingangs geschilderten Cooktank. Durch die Referenz an den Gin aus dem Schwarzwald passt es natürlich wunderbar in das Konzept. Und bietet einen angenehmen frischen Gegenpol zu der kräftigen Entenbrust.
Das Menü schließt mit einem klassischen und furiosem süßen Finale: Feines von der Orelys-Schokolade und Passionsfrucht, Muscovado-Baba und Mangoculis mit indischen Gewürzen. Klingt komplex, ist aber ein handwerklich fein gearbeitetes Dessert, schokoladig und eben sehr klassisch, aber eben auch sehr üppig.
Torsten Michel kocht seit 2004 in der Schwarzwaldstube, bereits Ende 2005 hat Wohlfahrt ihn zu seinem Nachfolger auserkoren und akribisch auf diesen Schritt vorbereitet. Wohlfahrt fällt der Abschied von der Schwarzwaldstube verständlicherweise nicht leicht: „In der Schwarzwaldstube steckt mein ganzes Leben. So einfach ist es nicht, sich zu trennen“. Natürlich wird Harald Wohlfahrt der Traube Tonbach natürlich erhalten bleiben und sich neuen Projekten innerhalb des Hauses widmen.
Torsten Michel will die Küche im Sinne Wohlfahrts weiterführen. Sein Anspruch: Die drei Sterne verteidigen.
Die Weichen dafür sind richtig gestellt. Und ich freue mich schon sehr auf meinen nächsten, dann sicherlich ausführlicheren Besuch im Schwarzwald.
Hotel Traube Tonbach
Familie Finkbeiner KG
Tonbachstraße 237
72270 Baiersbronn
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