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Das Restaurant Horváth in Berlin

und die lange Geschichte des Salzselleries

An einem lauen Sommerabend am Berliner Paul-Lincke-Ufer erlebte ich kürzlich, wie moderne produktfokussierte Küche derzeit aussehen kann. Sebastian Frank selbst beschreibt seinen Stil als konzentriert, kraftvoll und vor allem unkonventionell. Das lässt sich alles blind unterschreiben. Dabei dreht es sich auf allen Tellern durchweg um Gemüse, um reduzierte, oft puristische Gerichte und um die aufwendige Inszenierung vermeintlich einfacher Produkte. Emanzipierte Gemüseküche, ist das übergeordnete Motto – und es hat mich an diesem Abend sehr begeistert.

Damit stehe ich allerdings nicht alleine: Der Guide Michelin bewertet die Küche mit zwei Sternen, jüngst wurden die “Bittersalate” von den Michelin Testern zu einem der besten fünf Gänge für 2023 in Deutschland gekürt. Im kombinierten Ranking der Restaurant-Ranglisten findet sich das Horváth aktuell auf Platz 2 in Berlin, es trägt fünf rote Hauben und wurde zudem vom Gault&Millau jüngst für die (durchaus anspruchsvolle und gen Osten orientiere) Weinkarte als eine der besten des Landes ausgezeichnet.

Die Gastgeber: Jeannine und Sebastian Frank

Sellerie alt und jung. Eine Geschichte in vielen Akten.

Wenn über die Entstehung komplexer Gerichte aus der Sterneküche erzählt wird, kann sich der Entwicklungszeitraum durchaus über Wochen, Monate, manchmal auch über ein ganzes Jahr entspannen. Und dann, gibt es Ideen, deren Entwicklung fünf oder mehr Jahre erfordern. Schon seit 2011 befasst sich Sebastian Frank mit einer Zubereitungsvariante des Selleries. Zunächst wurde die Knolle nur kurz im Salzteig gebacken, in einer weiteren Evolution für Wochen zum Trocknen gelagert, später dann für Monate und schließlich sogar für ein ganzes Jahr. Über diese verschiedenen Phasen und Reifeprozesse hat er schlußendlich die ideale Reifezeit ermittelt. Dabei geht es vor allem um die hydroskopischen Prozesse, also das Entziehen von Wasser. In diesem Video, das wir jüngst in Berlin aufgenommen haben, erläutert Sebastian diese Fortschritte sehr nachvollziehbar.

Bereit 2016 habe ich gemeinsam mit Sebastian einen Blick in den Keller des Horváths werfen können, um eine Präsentation des Salzselleries für einen Cooktank der Sternefresser vorzubereiten. Im Rückblick ist hier eine weitere spannende Entwicklung des Horváth zu beobachten. Neben dem getrockneten Sellerie (kombiniert damals mit Kürbis, Topinambur und Kohlgemüse) zeigte Sebastian auch einen bleu gebratenen Fasan. Heute finden sich im Menü des Horváth schon lange keine Produkte von Fisch oder Fleisch – zumindest nicht als eigenständige Komponenten. Das Konzept der emanzipierten Gemüseküche stellt alle Produkte auf die gleiche Stufe, schätzt Gemüse genauso sehr wie Proteine und setzt die Komponenten so ein, wie sie der Erzielung des gewünschten Aromabildes am besten zuträglich sind. Somit geben Fleisch oder Fisch unter Umständen Tiefe und Aroma, ohne auf dem Teller sichtbar präsent zu sein. Und natürlich gibt es stets eine Variante für Vegetarier, in denen ein vergleichbares Geschmacksbild erreicht wird.

Highlights aus dem aktuellen Menü

Der erste offizielle Gang des aktuellen Menüs ist die Pilzleber. Klar schwingt hier sowohl im Titel, als auch in der Präsentation – und tatsächlich auch am Gaumen – die Assoziation zur Foie gras-Terrine mit. Vegetarisch, auf Basis von Kräuterseitlingen, die zunächst zur Paste verarbeitet und dann in Butter intensiv ausgebraten werden. Obenauf steuert eine Apfel-Balsam-Reduktion (Manufaktur Gölles, Riegersburg) fruchtige Säure bei, die das durchaus schwere Entrée gleich etwas leichter erscheinen lässt. Ein spannender Auftakt und eine wirklich willkommene Alternativ zu einem schwierigen Produkt.

Ein weiteres Highlight im Menü dann die Kohlrabi-Kaltschale. Bei der ersten Durchsicht des Menüs dachte ich, dies könnte dem Namen nach ein verzichtbarer Gang sein – aber weit gefehlt: Die kühle Suppe ist von großer Eleganz und feiner, samtiger Textur, ideal für einen Sommerabend. Ein großer Tropfen Kirschkernöl bricht löffelweise die klare Stringenz. A part findet sich weiterer Kohlrabi in intensivem Sud aus Schinkenfett und fermentierten Kirschblüten.

Unser Menü spannte sich an diesem Abend über 10 Gänge, klar dass wir das Menü um zwei optionale Klassiker ergänzt haben. Hier soll es vor allem um einzelne Highlights gehen. Bei Freund und Kaiserhappen Kollegen Stevan Paul sowie bei den Sternefressern finden sich allerdings ausführliche Notizen des aktuellen Menüs in allen Gängen .

Erneut spektakulär dann aber der „Erste Stich“. Vermeintlich eine kleine Schüssel mit Schmand (eigentlich eine Sahne, die kurz vor dem servieren mit Joghurt gestockt wurde). Eine Erinnerung von Sebastian Frank an den ersten Löffel, aus einem großen Schmandtopf. Es mag bizarr klingen, aber diese pure Klarheit (hier im Kontext eines Zwei-Sterne-Dinners) ist so beruhigend, fast meditativ und gleichzeitig natürlich dramaturgisch perfekt gesetzt. Denn nach der Ruhe folgt direkt der Sturm, hier wahlweise durch die Zugabe der Paprikareduktion im linken Schälchen oder eines Knoblauch-Kümmel-Essigs auf dem rechten Löffel.

Jetzt, kaum sieben Jahre nach meinem ersten Kontakt mit diesem Produkt, raspelt Sebastian Frank dann den zwölf Monate getrockneten Sellerie über zart gedämpfte Selleriescheiben, Sellerie-Bechamel und gelierten Selleriesaft. In seiner Reduktion (ein Produkt!) und gleichzeitiger Komplexität, wirklich ein absolutes Ausnahmegericht.

Das grundlegende Konzept der emanzipierten Gemüseküche, wie es das Horváth derzeit lebt, ist extrem spannend. Säure, Salz (viel!), gelegentliche Bitterstoffe bilden einen so großen Kontrast zur typischen Sterneküche, die zumeist eher süß und komponentenreich daher kommt. So gelingt es hier immer wieder, das vermeintlich einfache Produkte dank ihrer komplexen und intelligenten Zubereitungen dann am Ende jeden Steinbutt, Hummer oder gar eine “echte” Foie Gras in den Schatten stellen können.

So auch der nächste Teller, das Suppengrün „Seleskowitz“. Das Rezept stammt aus einem alten Rezeptbuch der Wiener Kochbuchatorin Louise Seleskowitz (1830-1899). Neben der aromatischen Consommé finden sich auf dem Teller die klassischen Gemüseprotagonisten der über drei Tage gekochten und dann mit Hasenfleisch geklärten Suppe.

Die Verbindung klassischer Geschmacksbilder mit moderner Interpretation, teilweise durchaus avantgardistisch umgesetzt, macht das Restaurant Horváth ziemlich einzigartig. Die spannende Auswahl an begleitenden Weinen aus oft unbekannten Regionen und Ländern, sowie die ebenfalls innovative und komplexe alkoholfreie Begleitung, unterstreichen diesen Eindruck noch. Der kompetente und entspannte Service trägt zusätzlich zu einem genussvollen Abend mit vielen neuen Eindrücken bei.

Sternegastronomie für junge Leute (oder kleinere Geldbeutel)!

Momentan bietet das Horváth ein Quick & Dirty Menü an, besonders an junge Menschen adressiert. Über vier Gänge kann man die Küche kennenlernen, inklusive Amuse Bouche, Wasser-Flat, Sauerteigbrot und Petit Four. Immer Mittwochs und Donnerstags. Für nur 129€.
Das ist ein Ansatz, der Schule machen sollte. Nicht für jeden sind die aktuellen Menüpreise in ausgezeichneten Restaurants erschwinglich, aber gerade junge Menschen sind natürlich die Zukunft der Gastronomie und alle Hemmschnwelle, die man hier einreissen kann, sollte man einreissen. Mit Quick & Dirty kann man diese Welt der Gastronomie erleben, vielleicht noch ein oder zwei Gläser Wein ergänzen (oder aus der spannenden alkoholfreien Begleitung wählen). Gilt übrigens auch für alle jung gebliebenen 😉

Restaurant Horváth
Paul-Lincke-Ufer 44A
10999 Berlin
Mittwoch bis Samstag ab 18:30 Uhr

Hinweis: Im Rahmen einer Foto- und Videoproduktion waren wir zum Dinner eingeladen. Das Restaurant Horváth ist Kunde unserer Agentur Kaiserhappen. Mein Bericht ist natürlich dennoch objektiv verfasst und davon nicht beeinflusst.

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