Kochfreunde.com

Kochfreunde.com ist das kulinarisches Magazin von Oliver Wagner. Hier dreht sich alles rund um die beinahe schönste Sache der Welt: Gutes Essen. Dabei reicht der Fokus von Berichten über spannende Restaurants bis hin zu Rezepten aus der eigenen Küche, Kochbücher und kulinarische Gadgets.

Studio Frantzén, London

Impressionen vom neu eröffneten Restaurant von Björn Frantzén in London.

Meine zweite Reservierung in London führt mich abends in Harrods. Es zählt bekanntermaßen zu den berühmtesten und größten Warenhäusern der Welt und stellt KDW, Alsterhaus und Co leicht in den Schatten. Bevor ich hoch in die fünfte Etage fahre, schlendere ich durch die wunderschöne Food Hall, vorbei an einer unfassbaren Produktqualität von Käse, Wurstwaren, frischer Pasta – ein Traum.

Seit etwa sechs Wochen beherbergt die obere Etage ein neues Restaurant: Es ist nach dem mit drei Sternen und dem aktuell sechsten Platz auf der 50 Best Liste ausgezeichnetem Stammhaus in Stockholm die fünfte Location des Franchises. Ebenfalls drei Sterne ziert das Zén in Singapur. Ein weiteres Studiokonzept öffnet gegen Ende dieses Jahres im Atlantis Hotel in Dubai. Das Konzept dreht sich hier primär um Nordic Gastronomy mit asiatischen Einflüssen.

Das Studio teilt sich in einen großen, zwei Etagen umspannenden Gastraum und eine riesige Dachterasse. An diesem Abend sind von den 150 Plätzen nur wenige gefüllt, ich nehme an der Theke mit direktem Blick auf die Küche Platz. Der Service ist professionell, freundlich und unverbindlich. Die Speisen werden  à la carte  bestellt, mit einer großen Auswahl an Austerngerichten, kalten und warmen Vorspeisen, fünf Hauptgerichten und zahlreichen Verlockungen vom Grill, einige davon vom kleinen Binchotan-Grill, der natürlich meinen Blick direkt auf sich zieht.

Nach den 15 Gängen vom Nachmittag werde ich nur eine kleine Auswahl treffen. Zunächst zwei Austern in unterschiedlichen Zubereitungen. Die schwedische Auster kommt zart gegart und kombiniert mit Garum, fermentierten Lingonbeeren und Spitzen von junger Kiefer. Sehr frisch, ätherisch, vielleicht hätte ich doch mehrere bestellen sollen.

Die gegrillte Auster begeistert mich durch das intensive Raucharoma noch mehr. Ohnehin sind gegrillte Austern eine Sensation, diese hier allerdings durch die Verwendung einer ebenfalls gegrillten (oder geräucherten?) Butter besonders. Obenauf Kaviar vom Hering und “dirty seaweed oil”. Für rund sechs Euro je Auster ist das bereits ein sehr großer Spaß!

Generell wirkt die Karte angesichts des Renommeés der Frantzén Gruppe und erst recht dem super luxuriösen Kontextes im Harrods durchweg fair kalkuliert. Mit einigen wenigen Ausnahmen liegen alle Hauptgerichte unter 40 Pfund, wobei die Beilagen separat zu bestellen sind.

Meine Wahl fällt auf den auf der Gräte gegrillten Schwanz vom Baby-Seeteufel mit einem Ragu aus (binchotan-gegrillten) Schwertmuscheln, Kohlrabi, Koriander-Stielen, Kaviar vom Lachs und einer fermentierten Kohl-/Buttersauce mit Zitronenblattöl.

Als Beilage habe ich den Koshihikari-Reis mit geschmolzener Butter gewählt. Kurze Schrecksekunde dann beim Servieren des Fisches: Aus der Sauteuse wird etwas Sauce angegossen, wenig allerdings. Dann große Erleichterung: Der Topf verbleibt selbstverständlich am Platz und lässt nun viel Raum zum Schlemmen aus eben diesem.

Zugegebenermaßen war ich vor dem Besuch etwas skeptisch, zumal noch nicht besonders viele Rezensionen zu diesem neuen Studio verfügbar waren. Mit der ersten Gabel vom Seeteufel ist aber jede Spur von Skepsis dahin. Das ist ein sensationelles Fischgericht. Exzellente Produktqualität und perfekter Garpunkt. Dazu eine angenehme rustikale Nonchalance in der Präsentation mit Töpfen und Schalen auf den Tischen. Eher casual als Fine Dining – aber auf großartigem Niveau.

Zufrieden mit Fisch, Reis und dem großen Topf mit dieser intensiven und tiefen Sauce, lausche ich dem DJ der Soul aus den späten 90ern spielt, eine halbe Flasche Riesling im Weinkühler und denke für einige Sekunden über die Gastronomie im Alsterhaus oder im KDW nach. Eine Gedanke denn ich schnell verwerfe, um mich lieber Erfreulicherem zu widmen: der Dessertauswahl.

Das Yuzu Sorbet ist dann doch etwas feiner gearbeitet und wird von Sancho-Pfeffer-Baiser-Stäbchen, Fenchel Marmelade und Fenchel Pollen und -blättern begleitet. Auch das ist sehr gut, frisch und erneut mit ätherischer Tiefe.

Am Ende des kurzen und kurzweiligen Abends stehen 115₤ (ca. 130€) auf der Rechnung, was sich durchaus fair anfühlt, wobei meine Auswahl in der Tat übersichtlich ausfiel. Mit etwas mehr Hunger und Hummer, weiteren Zwischengängen und einem tieferen Griff in die Weinoptionen, sind hier natürlich auch ganz andere, dem Ort und Publikum eher entsprechende, Tickets zu erreichen.

Bleibt zu hoffen, dass sich auch in Deutschland eine schöne Location für eine künftige Expansion der Frantzén-Gruppe findet – vor allem aber die beruhigende Gewissheit, dass London nur knappe 80 Flugminuten von Hamburg entfernt ist.

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