Kochfreunde.com

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Schwarzwaldstube, Baiersbronn

Opulenz, Perfektion und die Modernität der großen Klassik

Um 12:25 klingelt das Telefon in meinem Kohlwald-Zimmer in der Traube Tonbach. Freundlich werde ich an meine in fünf Minuten bevorstehende Reservierung in der Schwarzwaldstube erinnert. Ein Termin, der schon seit Wochen in meinem Kalender steht und den ich natürlich unter keinen Umständen niemals vergessen hätte. 700km Anreise liegen gerade hinter mir. Aber wir wissen: “Eine einzigartige Küche – eine Reise wert”, die Definition des Guide Michelin für drei Sterne, die die Schwarzwaldstube nach kurzer Unterbrechung durch den Brand seit über 20 Jahren trägt.

Bereits dieser kurze Anruf ist ein weiteres Indiz für die Präzision der Abläufe in der Traube Tonbach – und insbesondere eben in der Schwarzwaldstube, der ich mich nun für die kommenden vier Stunden vollkommen anvertrauen werde.

Mein letzter Besuch in Baiersbronn liegt fast fünf Jahre zurück. Eine Zeit, in der viel passiert ist im Schwarzwald. Zunächst der tragische Brand des 230 Jahre alten Haupthauses, in dem auch die Schwarzwaldstube beheimatet war, dann die Pandemie, schließlich der Wiederaufbau des neuen Restaurantkomplexes und die Übergangszeit im Temporaire.

Die “neue” Schwarzwaldstube hat ziemlich exakt vor einem Jahr ihren Betrieb wieder aufgenommen. Der neue Gastraum ist modern, lichtdurchflutet, bodentiefe Fenster ringsum, der Schwarzwald draußen zum Greifen nah, drinnen nun etwas weniger. Hohe Decken und eine geschäftige, gleichzeitig sehr entspannte Atmosphäre. Gewichen ist auch das klassische Outfit des Services, jetzt unter Leitung von Nina Mihilli, dezente Kleider und Anzüge haben die traditionellen Dirndl ersetzt.

Während ich mich noch mit den Details meines Degustationsmenüs (in der großen Variante 295,- €) befasse, erreichen die ersten Amouse Klassiker meinen Tisch: Unter anderem ein Tatar vom Pommerschen Rind mit Gurkenrelish, Eigelbmayonnaise und ein Algencracker mit gebeizter Meeräsche (mit Plankton gefärbt) .

Während ich mich noch mit dem zweiten Glas Champagner (Blanc d’Argile von Vouette & Sorbée) akklimatisiere und die Eindrücke auf mich wirken lassen, zieht ein weiterer kleiner Gang meine volle Aufmerksamkeit auf sich: Bauch und Rücken vom spanischen Balfégo Thunfisch, lackiert mit dessen reduziertem Schmalz, dazu noch gepopptes Thunfischfett und ein luxuriös üppig portioniertes Topping mit einer speziellen Selektion von Imperial Caviar. Eindrucksvoll, wie alle Komponenten zusammenspielen und insbesondere natürlich das Fett den Kaviar sensationell unterstreicht.

Es folgt der erste offizielle Gang des Menüs. Ein Salat von gegrilltem Hummer, Sankt Jakobsmuschel und Oktopus mit Winterlauch, jungem Sellerie und Rettich, Krustentiermarinade mit Passionsfrucht und Koriander. Dazu im Glas ein 2020er Riesling Sommerberg von Albert Boxler.

Hinsichtlich der Weinauswahl habe ich mich fest in die kompetenten Hände von Sommelier Stéphane Gass begeben, lediglich ergänzt um meine Präferenz für naturnahe Weine. Die Weinbegleitung zum großen Menü wird aktuell mit 180€ kalkuliert.

Der “Salat” ist von großer Tiefe und leichter maritimer Jodigkeit. Die intensive Krustentiermarinade verbindet die zahlreichen Akteure aus dem Meer exzellent, deren Qualität ist absolut beeindruckend. Es ist ein üppiger Auftakt, der viel Freude bereitet.

Die Essenz vom Perlhuhn unter der Blätterteighaube mit schwarzem Trüffel, gefüllten Pilzköpfchen und Entenlebercroûton mit Kräuterspitzen ist pure Klassik auf allerhöchstem handwerklichen Niveau und erinnert an den Klassiker von Bocuse, die Soupe aux truffes von 1975.

Am Platz wird die Haube elegant gelüftet und sofort entweichen die animierenden Aromen von Pilz, Trüffel und der über drei Tage gekochten Essenz. Als wäre das nicht bereits Sensation genug wird à part  noch ein Kräcker mit Entenleber und gehobeltem Wintertrüffel gereicht. Wunderbar passend dazu ein Sercial Madeira von Barbetto.

Spätestens ab diesem Punkt wirkt die Magie der Schwarzwaldstube. Es reiht sich ein fantastischer, klassischer Gang an den nächsten. Und dennoch wirkt die Küche von Torsten Michel und Team unheimlich modern, die bereits eingangs angesprochene Präzision zeigt sich selbstverständlich auch auf den Tellern, aber auch im gesamten Rhythmus. Daneben ist die Opulenz, mit der hier Gang für Gang fantastische Produkte verarbeitet werden, mitreissend.

Mit dem in Algenbutter gegarten Eismeer-Kabeljau mit pochierten Austern und Stabmuscheln auf gedämpftem Kressespinat an einer Schalentiermousseline mit Kerbel, steht dann eines der intensivsten und spannendsten Fischgerichte vor mir auf dem Tisch, dessen man derzeit habhaft werden kann. Dazu ein Glas Chardonnay von Achim Dürr, der an diesem Tag übrigens nur weniger Plätze entfernt von mir im Restaurant sitzt.

Der absolute Star des Ganges ist die Schalentiermousseline, die hier mit angenehm viel Imperial Caviar montiert ist – und natürlich bleibt das gut gefüllte Servierkännchen am Tisch (und wird restlos geleert). Ein unvergesslicher Teller, in seinen Dimensionen eher einer à la Carte Portion entsprechend.

Deutlich mediterraner dann die gefüllte Rotbarbe mit pikantem Pinienkerncouscous und
glasiertem Fenchel, Jus von provenzalischem Gemüse mit altem Sherryessig, Rotbarbenleber und Basilikum. Dazu ein 2020er Châteauneuf-du-Pape von der Domaine Saint Préfert.

Bei diesem Gang dominieren die leichten Aromen, zarte Säure, dezente Süße und erneut eine große Tiefe im Sud. Die Rotbarbe ist von der Mittelgräte befreit und mit der Leber sowie ausgebackenen Schuppen zusammen gesetzt. Ein sehr schöner Kontrast zum vorherigen Fischgang.

Auch der nächste Gang berücksichtigt die Innereien des verarbeiteten Tieres: Gegrilltes Elsässer Täubchen mit Süßholz und Thymian, kleiner Köfte-Knusper mit Baharat, eingelegter Kürbis und Taubenjus mit schwarzer Limone. Beeindruckend schön, perfekt gegart und durch die Zugabe des orientalisch gewürzten Innereientalers (natürlich getoppt mit gebratener Gänsleber) extrem reich an aromatischen Facetten.

Dazu ein Glas 2018er A Torna dos Pasas Escolma, elegant und frisch und ideal für einen Sonntag Nachmittag.

Die Schwarzwaldstube integriert in jedes der drei verfügbaren Menüs den Käsewagen mit jeweils rund 40 Sorten aus der Fromagerie Antony. Als ich später mit Torsten Michel über eben diesen Käsewagen und dessen Auswahl spreche, erfahre ich, dass dies quasi nur der kompakte Interimswagen ist. Der ursprüngliche Christofle Wagen ist ebenfalls dem Feuer zum Opfer gefallen, das aktuelle Gefährt ist aus dem Temporaire übernommen und wird künftig durch ein neues Modell der Silberschmiede ersetzt, das nochmals mehr Raum bieten wird. Eine großartige Tradition. Allerdings: Das Menü ist fordernd und bei mir ist nun leider etwas Zurückhaltung in der Köseauswahl geboten. Im Glas dazu eine 2018er Scheurebe Spätlese Durbacher Plauelrain von Laible.

Ein erstes Dessert thematisiert die Mango: Passoa-Savarin mit Mango-Limoneneis, Ananasravioli, Kokosschnee und -crispies, exotischer Sud mit Ingwer. Optisch schon eine Augenweide, frisch, fruchtig, exotisch, wunderbar.

Das süße Finale dann wieder ganz klassisch und handwerklich perfekt: Ein Soufflé Tarte Tatin mit Apfelsorbet und leichter Sauerrahm-Mousseline, Apfelperlen in mildem Cidresud und Gavottes croustillantes. Dazu ein kleines Glas vom 2020er Jurançon “Au Capceu”
von der Domaine Camin-Larredya.

Während ich nun noch in den frischen Erinnerungen an dieses Menü schwelge, zeigt sich am späten Nachmittag erstmals die Sonne über den sanften Hügeln des Schwarzwaldes und erinnert mich an meinen Vorsatz, später noch einen ausgedehnten Spaziergang in der Natur zu unternehmen. Am Abend wartet zwei Türen weiter die nächste Reservierung.

Zunächst aber noch ein kleiner Blick auf die ausschweifende Auswahl der Friandise.

Es war ein beindruckendes Menü, mit vielen wirklich aufwühlenden und in Erinnerung bleibenden Gängen. Dazu die aufgefrischte Erkenntnis, das hier im Schwarzwald eine Küche zelebriert wird, die frei ist von modischen Trends und Ideen, die sich auf sich selbst, die eigene Historie und auf die großen Klassiker fokussiert. Diese Entschlossenheit in Kombination mit der durchweg bestmöglichen Produktqualität wirkt dann eben aber doch zeitgemäß und modern, vor allem extrem souverän. Natürlich gibt es auch eine vegetarische Menüoption (245€) – für mich allerdings erst bei der nächsten Reise in den Schwarzwald, die hoffentlich keine weiteren fünf Jahre auf sich wird warten lassen…

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