Der CookTank der Sternefresser ist Koch- und Denkfabrik für die wichtigsten Akteure der deutschsprachigen Spitzengastronomie. Die elfte Ausgabe fand vor wenigen Tagen in Berlin im Restaurant Tim Raue statt. Und diesmal standen erstmals die Sous Chefs im Zentrum. Also die Stellvertreter der großen Chefs, unter anderem aus dem Vendome, der Schwarzwaldstube, The Table, von Tim Raue, aus dem Adlon, dem Haerlin, dem Söl’ring Hof und von Andreas Caminada.
Gleich zwei Ideen fand ich an diesem neuen Setup faszinierend: Zum einen die verdiente Bühne, die den Stars der vermeintlich zweiten Reihe endlich geboten wurde. Zum anderen die Möglichkeit, jeweils einen Koch bereits im Vorfeld durch einen Journalisten bzw. Blogger begleiten zu lassen, um die Entstehung seiner Kreation viel detaillierter und umfassender zu dokumentieren, als es während des Events möglich wäre. Im Zuge dessen verbrachte ich neulich einen fabelhaften Tag auf Sylt und begleitete Jan-Philipp Berner rund um sein Lamm in drei Gängen.
Wer kocht eigentlich, wenn Sie nicht in der Küche sind? Derselbe, der kocht, wenn ich in der Küche bin. –
Mein Souschef.
In diesem Zitat von Paul Bocuse steckt viel Wahrheit. Denn natürlich haben die renommierten Chefs eine Vielzahl von Aufgaben, die ihre Aufmerksamkeit auch ausserhalb der Küche fordern. Und ein großes Team, dass ihre Ideen und Visionen Tag für Tag mit maximaler Präzision umsetzen. Unter der Leitung und dem kritischen Auge des Stellvertreters, des Sous Chefs.
Wie stark prägt die Arbeit unter einem Chef wie Christian Lohse, Tim Raue, Kevin Fehling, Harald Wohlfahrt, Johannes King, Christoph Rüffer, Andreas Caminada, Daniel Achilles oder Hendrik Otto die Handschrift des Teams? Wie weit können und wollen sich die Stellvertreter von den großen Egos ihrer Chefs befreien und einen eigenen Weg einschlagen?
Christian Singer
Küchenchef Restaurant Tim Raue, Berlin Stellvertreter von Tim Raue
Bewertungen: 2 Sterne und 19 Punkte
Christian nimmt uns mit auf eine kulinarische Reise durch Asien: China (Wagyu-Shabu shabu mit Lauch, Ingwer und Beeftea), Japan (gebeiztes Wagyubeef mit Sichuanpfeffer, roter Perlzwiebel und PX-Essig), Thailand (gefülltes Kopfsalatherz mit Somtam, gegrilltes Wagyubeef, Rindermark getrocknete Ananas).
Großartige kleine Preziosen, klar in der Aromatik und wunderbar präsentiert. Und, wie Christian später verriet, konzeptionell eine Leistung des ganzen Teams unter Tim Raue. Denn genau so entstehen neue Kreationen hier im Hause regelmässig.
Dennis Ilies
Souschef The Table, Hamburg Stellvertreter von Kevin Fehling
Bewertungen: 3 Sterne und 17 Punkte
Eine offensichtlich aussergewöhnlich gutes Gericht an Bord eines Flugzeugs hat Dennis Ilies zu diesen Tellern inspiriert. Eine orientalische Variation vom Lamm: Lammrücken, Sanddorn, Tamarillo-Chutney, Ziegencreme, Gewürzreis-Creme, Tandoori-Hollandaise. Geschmorte Haxe und Bries, Bananen- Kurkuma-Püree, Naanbrot, Kürbis, Senfsaat.
Die orientalischen Anklänge finden sich derzeit auch im aktuellen Menü des The Table in Hamburg (beispielsweise auch in dem hier beschriebenen Menü The Art of Slow) und funktionieren dort ebenfalls ganz hervorragend.
Torsten Michel
Souschef Schwarzwaldstube, Baiersbronn Stellvertreter von Harald Wohlfahrt
Bewertungen: 3 Sterne und 19,5 Punkte
Im Prinzip bildete der Tellerreigen, den Torsten Michel während des Cooktanks servierte, fast ein eigenständiges Menü ab. Eine Reise durch den Schwarzwald in 6 Gängen wurde versprochen – und auf köstliche und handwerklich präzise Weise eingelöst:
- Schwarzwälder Lammschinken mit Gin und Tannenaromen
- Lammhirn mit konfierter Zitrone und Koriander in Limonen-Ingwer-Bouillon
- Zweierlei Croustillant von Lammfüssen mit Gartengurke und Lammjus, aromatisiert mit Senfsaat und Dill
- Milchlamm Königlicher Art mit Innereienragout auf Johannisbeer-Coulis und Rouennaiser Sauce mit Wacholder
- Milchlamm vom Holzkohlegrill mit Kirschen, Haselnüssen und Mandelmilch
- The Drunken Monkey: Gin-Tonic-Sorbet mit Earl-Grey-Gelee und Wildkräutern
Jan-Philipp Berner
Küchenchef Söl’ring Hof, Sylt Stellvertreter von Johannes King
Bewertungen: 2 Sterne und 17 Punkte
Die Entstehung dieses Gerichts durfte ich im Vorfeld begleiten: Lamm in drei Gängen
- Würzig: Lammrücken, Getreide, Morsumer Spargel und Sauce Béarnaise
- Sauer: Pastrami vom Lamm, gepickeltes Gemüse und gegrillte Zwiebel
- Süffig: Ragout von der Lammschulter, Morsumer Spargel, Schafsjoghurt und Haselnuss
Und genau wie hier serviert, können sich Gäste im Söl’ring Hof aktuell auch verwöhnen lassen. Allerdings werden die drei Teller nicht a part gereicht, sondern in drei aufeinanderfolgenden Gängen präsentiert.
Tobias Günther
Souschef Haerlin, Hamburg Stellvertreter von Christoph Rüffer
Bewertungen: 2 Sterne und 19 Punkte
Mit „einer Hand voll Meer“ eröffnete Tobias Günther im Restaurant Tim Raue den kulinarischen Teil des Cooktanks: Ossietra di Venezia– Buchweizen, Apfel und geröstete Schalotten
Ein wahrer Ausbund an sommerlicher Meersfrische, sehr ausgewogen und jederzeit eine erneute Reise ans Meer wert. Oder ins Haerlin, denn in der Tat könnte man sich insbesondere die Auster dort auch sehr gut als Auftakt eines Menüs vorstellen.
Marcel Skibba
Souschef Schloss Schauenstein, Fürstenau (CH) Stellvertreter von Andreas Caminada
Bewertungen: 3 Sterne und 19 Punkte
Einen sehr mutigen Ansatz zeigte Marcel Skibba mit seinen Variationen vom Waller: Leber, Loin und gegrillter Bauch: BBQ- Aufguss, Schinken, Schlehdorn, Lauch, Zwiebel und wilder Brokkoli.
Obwohl der Fisch laut Marcel Skibba augenblicklich nicht auf seiner saisonalen Höhe ist, entstand eine großartige Kreation mit ganz unterschiedlichen Texturen und Geschmacksbildern des großen Fisches. Besonders der würzig-aromatische Sud und die zarte Leber sind mir im Gedächtnis geblieben.
Julius Nowak
Souschef Reinstoff, Berlin Stellvertreter von Daniel Achilles
Bewertungen: 2 Sterne und 18 Punkte
Die mit Abstand mutigste Interpretation des Themas entwickelte Julius Nowak. Der Star á part ist in diesem Fall wirklich nicht auf dem großen Teller im Zentrum zu finden, sondern umrankt den Salat mit kleinen, auch als Amouse vorstellbaren Köstlichkeiten: Johannisbeere, gegrilltes Salzwiesenlamm und Sepiarogen.
Ausgehend von den Tellern á part lässt sich immer wieder zum Salat zurückfinden und neu kombinieren und entdecken.
Lukas Bachl & Thomas Lade
Souschefs Lorenz Adlon Esszimmer, Berlin Stellvertreter von Hendrik Otto
Bewertungen: 2 Sterne und 18 Punkte
Gleich zwei Sous Chefs stehen Hendrik Otto zur Seite. Gemeinsam haben Sie ein Gericht rund um Soljanka und Rinderrücken kreiert: Rinderrücken, Essiggurke, Paprika, Sauerrahm, Rote Bete, Aal und Soljanka.
Clemens Grabmer
Souschef Waldschänke, Grieskirchen, Österreich
Bewertung: 15 Punkte
Mit Clemens Grabner hat sich ein ganz junger Bursche aus Grieskirchen eine der begehrten Wildcards gesichert. Sein Gericht bringt geballte, alpenländische Aromatik auf die Teller – allerdings neu und ausnehmend leicht interpretiert:
- Gsurter Schweinebauch mit Hopfenspargel und Spargelfond
- Mehlknödel mit Stöcklkraut, Popcorncreme und fermentiertem Krautsaft
- Brot- Sponge mit Semmelkren und Bierradi an selbstgemachtem Lardo
Andre Schwuchow
Souschef Fischers Fritz, Berlin Stellvertreter von Christian Lohse
Bewertungen: 2 Sterne und 16 Punkte
Die zweite Wildcard bliebt innerhalb Berlins und ermöglichte Andre Schwuchow die Teilnahme. Sein Gericht: Kaviar, Bauch und Rücken vom Saibling mit Sonnenblumenkerncreme, Topinambur, Chicoree, Dillblüte, Weizenkeimöl, Senfsaat, Buttermilch, Rapssprossen und Mispeln.
Der chronologische Ablauf in der Übersicht (links daneben das im ungünstigen Licht des Restaurants beinahe etwas dünn wirkende Haupthaar eines aussergewöhnlich sympathischen Foodbloggers aus Hamburg.)
Es war erneut eine großartige und hochkarätige Veranstaltung und ein umfassender Einblick in – und auch hinter die Kochtöpfe der Sous Chefs führender Restaurants. Auf der einen Seite ist es unheimlich erfreulich zu sehen, wie sehr die Stellvertreter die Küche ihres Hauses (und die es Hausherren) verinnerlicht haben und Gerichte schicken, die exakt so auch Einzug in die Karte finden könnten. Auf der anderen Seite ist es fast etwas Schade, dass diese große Bühne nicht auch genutzt wurde, um noch mehr eigene Stilistik zu zeigen und einen Schritt aus dem Schatten der Großmeister zu wagen…