Eine großartige Idee hielt bei dieser Ausgabe des Cooktanks (einem kreativen Think Tank für Köche) erstmals Einzug: Um die Geschichten hinter den Kreationen der teilnehmenden Chefs ausführlicher einzufangen, wurde je ein Journalist bzw. Blogger eingeladen, einen Teilnehmer in dessen Küche zu besuchen und die Vorbereitungen und den kreativen Prozess zu dokumentieren.
So finde ich mich morgens um kurz vor acht auf Sylt an Bord eines Rolls-Royce Ghost wieder. „Für die Feldwege ist das Auto nicht so ideal“ entschuldigt sich Jan-Philipp am Volant beiläufig. Der Vorteil liegt allerdings auf der Hand: Der Kofferraum ist großzügig bemessen, mit angenehm weichem Tuch ausgeschlagen und bietet viel Platz und Schutz für all die Kräuter und Zutaten, die wir gemeinsam an diesem Vormittag ernten werden.
Lange noch war es kalt auf Sylt. Erst seit wenigen Wochen hat der Frühsommer auf der Insel so richtig Einzug gehalten. Entsprechend ist die Vegetation noch nicht so weit, wie auf dem Festland. Insbesondere die Salzwiesen brauchen noch einige Wochen um die ersten Produkte für die Küche Preis zu geben. Im Kräutergarten in Morsum, den ich bereits im letzten Jahr schon einmal besuchen durfte, gibt es allerdings schon viel zu sehen. Und zu ernten. Diesmal darf ich die Ärmel hochkrempeln und mitarbeiten. 60 Blüten vom Grünkohl gilt es zu sammeln. Und den ersten Spargel. Soviel das Beet mit den fast hundertjährigen Wurzeln gerade bereit ist, zu geben. Wir sammeln aber auch an Straßenkreuzungen, hinter einer Kirche und auch neben dem Feinkostladen von Johannes King halten wir an, füllen zahlreiche Plastikkörbchen und beladen den Rolls-Royce. In den Dünen suchen wir im Unterholz nach vereinzelten, noch sehr zarten und versteckten Pflänzchen der wilden Erbse. Die warme Morgensonne über uns steigt langsam höher, hinter den Dünen hört man die Nordsee branden. Es ist ein mühsames Unterfangen, keine Frage. Die letzte Station führt uns schließlich in ein kleines Wäldchen, die Fichtensprossen sind gerade perfekt und müssen ebenfalls geerntet werden.
Unsere Exkursion ist nicht nur spannend und für mich sehr lehrreich, sie verdeutlicht auch die Philosophie der Küche von Johannes King und Jan-Philipp Berner. Es geht nicht nur um Regionalität und Saisonalität, es ist vielmehr die Essenz und kulinarische Identität der Insel, die eingefangen werden soll. Und zwar zum jeweilige Zeitpunkt.
Lamm in drei Gängen
Lamm ist der Protagonist des Gerichtes, das Jan-Philipp Berner in den Diskurs beim Cooktank schickt. Und an diesem Abend hat es seine Premiere im Restaurant des Söl’ring Hof. Da natürlich auch immer der Kontext zählt, freue ich mich sehr, die Komposition im Rahmen des aktuellen Menüs genießen zu können.
Eine kleine Auswahl fein gearbeiteter Amouse bilden den Auftakt. Vereinzelt erkenne ich Kräuter, die wir gemeinsam gesammelt haben. Blüten vom Grünkohl. Fichtensprossen. Dazwischen unter anderem Tatar, eine Makrele und ein Stück eingelegter Apfel.
Es folgt ein wunderbar jodiges Gericht, das direkt die Nordsee auf den Teller zu holen vermag. Muscheln mit Apfel und Kalmar.
Der nächste Gang ist nicht nur optisch eine echte Sensation – es ist schlichtweg ein fantastisches Gericht. Zarter Saibling wird zusammen mit hauchdünnen geschnittenem Katenschinken kombiniert. Zu dem leichten Rauch passt die zarte Frische von Kohlrabi außergewöhnlich gut. Die Nordseekrabben sind kross ausgebacken und geben dem Teller so noch einen crunchige Textur.
Es folgt ein sehr schönes Exemplar Kaisergranat in zwei Zubereitungen. Roh mariniert mit Holunder und leicht gebraten an Pilzen, junger Erbse und ganz frischem Frischkäse. Und auch hier wieder die Kräuter aus dem eigenen Garten und Portulak aus Sylter Wildfang.
Jetzt ist die Bühne bereitet für den ersten Gang der folgenden Lamm Trilogie: Die Lammschulter ist als Pastrami zubereitet, zart aufgeschnitten und in einer gebackenen Zwiebel auf gepickeltem Gemüse und Kräutern serviert. Säure und Süße sind in idealer Balance, die heiße Zwiebel duftet intensiv, deftig und mit einem warmen Unterton von Karamell. Trotz dieser Vielfalt an Aromen, Temperaturen und Produkten ist dieses Gericht gleichzeitig sehr klar. Jede Komponente klar erkennbar und am rechten Fleck.
Lamm Teil II widmet sich der Schulter in Form eines Ragouts mit Haselnuss. Darüber ein hausgemachter Joghurt vom Schaf. Die Stangen des jungen Spargels ersetzen hierbei das Besteck. Mit jeder der angenehm bitteren Stange (hundertjähriges Beet!) kann man so die Kombination aus Ragout, Joghurt und Haselnüssen naschen.
Der dritte Teil der Trilogie stellte dann den Rücken in den Vordergrund. Das handwerklich perfekt gegarte Fleisch wird mit einer Stange gegrilltem und gefüllten Spargels serviert. Ein Spargel nicht direkt von der Insel, aber quasi in Sichtweite auf dem Festland geerntet. Die Wurzeln sind hier nicht ganz so alt, glücklicherweise ließ sich der Spargelbauer aber überreden, die Stangen für den Söl’ring Hof einfach etwas länger an der Wurzel zu belassen. Der in ausgelassenem Lammfett und Nussbutter konfierte Spargel hat einen Gargrad, den man selten in der deutschen Gastronomie vorfindet: Den richtigen. Die zarten Kräuter, die als Füllung im Spargel eingesetzt werden wecken so die Assoziation zu einer klassischen Sauce Béarnaise. Ein Jus auf Basis von geröstetem Einkorn verbindet die Komponenten auf dem Teller und gibt eine ungewohnte Tiefe.
Der Star á part lautet das Motto für den elften Cooktank der Sternefresser. In der Interpretation von Jan-Philipp Berner ist eigentlich jeder Teller ein eigener Star. Das Lamm in drei Gängen zeigt nicht nur das Produkt in seinen Facetten, es vermittelt auch die Handschrift und Philosophie des Hauses. Gleichzeitig integriert es einige typische Elemente der Insel und hat Anklänge zu einem Klassiker auf der Karte: Die geschmorte und gefüllte Zwiebel wird mit ganz unterschiedlichen Füllungen immer mal wieder ins Programm aufgenommen.
Mein Menü schloss dann im Weinkeller des Hauses mit Sylter Rose, Gartenkräutern und Buttermilch.
Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Tag nehmen wir uns noch die Zeit, Jan-Philipps Notizen, die er sich auf dem Weg während der Entwicklung seines Gerichtes gemacht hat, anzusehen und auszuwerten. Hochspannend wie unterschiedlich die Konzepte und das Vorgehen dabei sind. Hier sehr klar und analytisch skizziert in Form einer Produkt-/Zubereitungsmatrix, in der die verschiedenen Produkte, die der vorgegebene Warenkorb für das Cooktank vorsah auf der einen, mögliche Formen des Garens auf der anderen Seite standen. Dazwischen Linien mit den idealen Verbindungen. Und schließlich erstes Skizzen der drei Teller, fast so, wie sie am Abend zuvor vor mir auf dem Tisch standen.
Dann widmen wir uns noch dem gefüllten Spargel. Sowohl für ein Foto bei Tageslicht, aber auch für einen kurzen Clip, der den eigentlich so einfachen und dabei doch so wirkungsvollen Vorgang der Kräuterfüllung festhält.
Ein großartiger Tag am Meer. Vielen Dank Jan-Philipp Berner und Johannes King für die Gastfreundschaft. Und vielen Dank natürlich auch an die Sternefresser für diese wunderbare Idee.