Kochfreunde.com

Kochfreunde.com ist das kulinarisches Magazin von Oliver Wagner. Hier dreht sich alles rund um die beinahe schönste Sache der Welt: Gutes Essen. Dabei reicht der Fokus von Berichten über spannende Restaurants bis hin zu Rezepten aus der eigenen Küche, Kochbücher und kulinarische Gadgets.

Restaurant Etz, Nürnberg

Kompromisslose Produktliebe trifft auf kreative Leichtigkeit.

Das Etz verfolgt eine ebenso ambitionierte wie konsequente Vision: Das kulinarische Potenzial der fränkisch-bayerischen Region in seiner reinsten, spannendsten und idealsten Form auf den Teller zu bringen. Mit einem tiefen Verständnis für Produktqualität und Herkunft entstehen hier Kreationen, die gleichermaßen überraschen wie begeistern – verwurzelt in der Tradition, aber mit Blick nach vorn. Zum Zeitpunkt meines Besuches im April drehte sich alles um Ruhe & Reifung, zarte Triebe und erste Pilze. Eine der sieben Jahreszeiten im Etz.

Das Küchenteam nutzt sowohl klassische als auch moderne Techniken – nie um ihrer selbst willen, sondern stets mit einem klaren Ziel: Den Zutaten, den Tieren und den Menschen mit größtmöglichem Respekt zu begegnen. Diese Haltung ist in jedem Gang spürbar.

Was das Etz besonders macht, ist die Lust am Experiment: Manche kulinarischen Grenzen werden neu gezogen, gelegentlich auch spielerisch überschritten – ohne Effekthascherei, sondern mit Substanz. So wird jeder Besuch nicht nur zum Genuss, sondern auch zur Einladung, Neues zu entdecken und zu verstehen.

Das etz – und damit greife ich bewusst vor – ist womöglich das eine deutsche Restaurant, das im internationalen Kontext ganz vorn genannt werden sollte, wenn es um echtes Destination Dining geht. Eine Küche, die das Terroir nicht nur einbezieht, sondern konsequent ins Zentrum rückt. Ein Erlebnis, das untrennbar mit seinem Ort verbunden ist – und genau deshalb nur hier, nur so, nur jetzt möglich ist.

Die hohe Kompetenz und das souveräne Zusammenspiel des gesamten Teams schaffen eine bemerkenswerte Leichtigkeit. Trotz des klar durchdachten Konzepts bleibt viel Raum für echte Herzlichkeit, Offenheit und Freude am gemeinsamen Abend. Kein Dogma, kein erhobener Zeigefinger – stattdessen ein Abend voller Gastfreundschaft und Genusskultur auf höchstem Niveau.

Thomas Prosiegel führt uns durch das Labor.

Traditionell beginnt der Abend im Etz nicht direkt am Tisch, sondern mit einem besonderen Prolog im benachbarten Gebäude. Dort, wo sich Labor, Lager und Vorbereitungsküche befinden, eröffnet sich den Gästen ein Blick hinter die Kulissen – und zugleich ein tieferes Verständnis für die Philosophie des Hauses.

An unserem Abend begrüßt Thomas Prosiegel die Gäste und führt sie durch die Regale, in denen Gläser mit fermentierten, eingelegten und gereiften Produkten lagern – stille Zeugen eines langen Prozesses, der weit vor dem eigentlichen Kochen beginnt. Mit spürbarer Leidenschaft erklärt er Techniken, Zutaten und Ideen, lädt dazu ein, einzelne Gläser, die unser besonderes Interesse wecken zur gemeinsamen Betrachtung und Besprechung auf dem Tisch zu versammeln, Fragen zu stellen, Aromen zu erschnuppern.

Dieser Auftakt ist mehr als nur Einführung – er ist ein Dialog mit den Produkten, eine Einladung zum bewussten Schmecken und ein Ausdruck jener Sorgfalt, die jedes Detail im Etz durchdringt.

Als erster kleiner Snack direkt aus der Produktionsküche erreicht uns ein „Blatt Spinat“ mit getrockneten Nelkenschwindlingen sowie Cassisbeeren und Cassisholz-Vinaigrette

Es folgt ein Wagyu aus der Hüfte mit Emu-Ei-Mayo, ersten Kräutern und Blüten. Kleine Teller, die jedoch sofort von der Klarheit und Produktzentrierung im Etz erzählen und große Lust auf den weiteren Verlauf des Abends machen.

Nach der Einführung im Labor setzt sich das Erlebnis nahtlos am Platz im sonnendurchfluteten Gastraum fort. Blühende Kirschzweige in schlichten Vasen greifen die aktuelle Jahreszeit auf und erzählen gleichzeitig von der japanisch inspirierten Ästhetik des Hauses – reduziert, klar und voller stiller Eleganz. Auch kulinarisch bleibt es dabei: Der erste Teller mit „Ersten Trieben“ – kurz gegrillter Taglilien-Trieb, begleitet von einer klaren Hühnerbrühe und aromatischem Zitrusblatt – verkörpert diese Philosophie auf eindrucksvolle Weise.

Parallel dazu finden sich die ersten Gläser auf dem Tisch. Neben einem wunderbaren Champagner – dessen Produzent ich mir leider nicht notiert habe – wird ein Kefir aus Zuckerrübe gereicht, fein abgestimmt und höchst eigenständig.

Für den Abend habe ich mich sowohl für die klassische Weinbegleitung (120 €) als auch für die alkoholfreie Getränkebegleitung (90 €) entschieden. Letztere ist im Etz eine Klasse für sich: Für mich gehört sie klar zu den besten in Deutschland – vergleichbar eigentlich nur mit den Konzepten im 100/200 und Horváth.

Dass die alkoholfreien Kreationen auf diesem Niveau begeistern, überrascht dabei kaum. Die tiefe Expertise des Etz-Teams in Fermentation, Extraktion und anderen Veredelungstechniken zeigt sich eben nicht nur auf dem Teller, sondern ebenso selbstbewusst und selbstverständlich im Glas.

Im Etz wird die traditionelle fränkische Schlachtschüssel auf moderne, elegante Weise interpretiert: Feine Späne von über Monate gereifter, gepökelter und kaltgeräucherter Schweineleber der Mangalica-Schweinerasse – das sogenannte Schweineleberbushi – treffen auf junge Kartoffeln der Sorte Madame Blanche, und einen intensiven, samtig montierten milchsauren Blaukrautsaft. Ein echter Klassiker, den ich so bereits zweimal bei meinen Besuchen im Sosein, dem Vorgängerrestaurant unter Leitung von Felix Schneider, probieren konnte. Dankenswerterweise gibt es Historie und Rezept zu diesem Klassiker hier zum nachlesen.

Zünftig und dennoch fein startet die Brotzeit im Etz. Begleitet von einem Landbier der Orca Brauerei und einem erfrischenden Glas Grünkohl mit Apfel, steht zunächst das herausragende Sauerteigbrot im Mittelpunkt – aus alten Weizensorten, 36 Stunden gereift, auf Basis einer zehn Jahre alten Sauerteigkultur.

Aus der hauseigenen Charcuterie folgen drei Jahre gereifter Keulenschinken, Nacken- und Rückenspeck, geräucherter Backenschinken sowie ein zarter Lardo mit Leinsaat-Trestermiso – allesamt vom Mangalica-Wollschwein aus dem Steigerwald. Dazu kommt Wagyu-Fleckvieh, mit Edelschimmel gereift und Spätburgunder veredelt.

Ergänzt wird diese Auswahl durch feine Pickles aus dem Knoblauchsland und gereifte, gesalzene Sauerrahmbutter – eine Brotzeit, die Handwerk und Herkunft gleichermaßen feiert.

Das Winterlager verarbeitet Gemüse von der Nachbarin Birgit Meier: Schwarze Rettich-Taschen mit Einlegetomate aus dem letzten Sommer, geräuchertem Fischschmalz vom Stör und Schnittlauch-Buttermilch-Vinaigrette. Einer dieser seltenen, gemüsezentrierten Teller, der mit einer so großen „Schlotzigkeit“ und Tiefe aufwartet, die nur erahnen lässt, wie intensiv mit den Produkten gearbeitet wurde um dies zu erreichen.

Im Etz wird die klassische „Forelle blau“ auf moderne Weise neu interpretiert: Rohe Forelle aus Eltersdorf im Aischgrund wird hautseitig mit Apfelessig gegart, wodurch sie eine zarte Textur und feine Säurenoten erhält. Begleitet wird sie von Wurzelgemüse, einem intensiv-aromatischen Lauchöl und einer Essigmutter – einer gallertartigen Masse aus Essigsäurebakterien, die traditionell zur Essigherstellung verwendet wird. Diese verleiht dem Gericht eine zusätzliche sehr intensive Säurekomponente. Abgerundet wird die Zubereitung durch Spirulinatamari, eine fermentierte Würze auf Basis von Spirulina-Algen, die umami-reiche Noten beisteuert.

Ein anspruchsvoller Gang, vor allem durch die markante Säure. Gerade diese fordert jedoch heraus und belohnt mit einer Komplexität, die dazu einlädt, die feinen Nuancen aufmerksam zu erkunden. Im Glas dazu ein 2022 Silvaner „Sur Lie“.

Ein Gang ganz im Zeichen der Subtilität: Verschiedene Knollen, Wurzeln und Rüben – allesamt in hellen, feinen Tönen – treffen auf eine cremige Walnuss-Crème, eine aromatisch tiefe Mohn-Miso-Velouté und Löwenzahnkapern aus der hauseigenen Versuchsküche. Eine Komposition, die Erdigkeit, Nussigkeit und zarte Fermentation kunstvoll verbindet.

Tafelspitz vom Wagyu-Rind, zehn Wochen am Knochen gereift, anschließend langsam und behutsam gegart. Serviert wird das zarte Fleisch mit Kartoffelpüree und feinem weißem Spargel (süß-sauer eingelegt aus dem letzten Jahr), aromatisch unterstützt von oxidiertem Rinderfett, das dem Gericht eine warme, nussige Note verleiht. Estragonsalz setzt dazu frische, kräutrige Akzente. Das Wagyu stammt von der Familie Hoffmann aus Birkenreuth – ein weiteres Beispiel für die konsequente Regionalität und enge Produzentenbeziehungen im Etz.

Ein Dessert voller Frische und floraler Leichtigkeit: Fencheleis, fein parfümiert mit Magnolienblüten, trifft auf die aromatische Vielfalt der Zierquitte – präsentiert als Frucht, Blüte, Granité und Curd. Die verwendeten Magnolien und Quitten stammen aus den umliegenden Gärten. Magnolienblüten, insbesondere der Tulpenmagnolie (Magnolia × soulangeana), gelten als essbar und werden zunehmend in der kreativen Küche verwendet. Ihr zart herbes Aroma, das an Ingwer und Rosen erinnert, verleiht Gerichten eine besondere florale Note.

Ein Soufflé aus Ziegenfrischkäse vom Reimehof in Wallsdorf bildet den Mittelpunkt dieses Gangs – luftig-leicht und zugleich aromatisch tief. Dazu werden karamellisierte schwarze Johannisbeeren gereicht, verfeinert mit Bienenpollen und Agastachenblüten, die eine feine, florale Süße ins Spiel bringen. Ergänzt wird das Ensemble durch ein intensives Preiselbeersorbet, das mit schwarz fermentiertem Thymianhonig noch einmal zusätzliche Komplexität und würzige Tiefe erhält. Dieser Gang ist ein Neuzugang im Menü und bleibt – im Kontext eines insgesamt herausragenden Abends – minimal hinter der Klasse der übrigen Teller zurück. Tragisch ist das keineswegs, denn mehr als aufgewogen wird dies durch ein zweites Glas des sensationellen 2010er Frühburgunders “Centgrafenberg” vom Weingut Helmstetter, der mich bereits seit einigen Gängen begleitet und hier noch einmal besonders glänzen darf.

Generell gibt es zu den beiden Getränkebegleitungen im Etz noch so viel zu erzählen – das würde dann allerdings wirklich den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Sommelier Schorsch Raptis hat nicht nur ein großes Repertoire an feinen Weinen – er hat vor allem einen ganz eigenen Stil, diese zu präsentieren: Präzise formulierte Fakten mit inhaltlicher Tiefe und Anspruch. So macht Weinbegleitung wirklich wieder Freude.

Zum Abschluss bringt das Etz noch einmal ein Stück fränkische Tradition auf den Tisch – aber ganz unprätentiös und voller Charme. Frisch ausgebackene Ausgezogene, außen knusprig, innen wunderbar luftig, werden in einer kleinen Schale serviert, leicht in Zucker gewälzt und duften nach purem Wohlgefühl.

Das Etz verpflichtet sich dem Genuss – kompromisslos und doch voller Wärme. Diese seltene Balance aus Tiefe und Ungezwungenheit macht jeden Besuch zu einer Erfahrung, die weit über das Essen hinausreicht. Und genau deshalb bleibt dieser Abend noch lange im Gedächtnis.

Restaurant Etz
Wiesentalstr.41
90419 Nürnberg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Prev
Jøwåy

Jøwåy

You May Also Like