Das El Poblet in València erweitert bereits seit 2012 den Kosmos von Quique Dacosta, dem Ausnahmekoch der spanischen Avantgarde. Ausgezeichnet mit 3 Michelin-Sternen und derzeit auf Platz 62 der World 50 Best Restaurants platziert. Die rechte Eingangstür führt den Gast von den trubeligen Straßen der Altstadt Valèncias über eine Treppe in die erste Etage. Rund um einen großzügigen hellen Innenraum entspannt sich ein wunderschönes und überraschend feminines Restaurantkonzept voll verspielter Elemente, Blumen und Pastelltönen. Die linke Eingangstür öffnet sich übrigens zum Vuelve Carolina, der zugehörigen Gastrobar. Beide Restaurants teilen sich die Küche, Logistik und Infrastruktur der alten Stadtvilla.
Durch diese Maßnahme lassen sich die Kosten erfreulicherweise reduzieren. Das größte Sparpotenzial, so man davon in dieser Liga sprechen kann, bietet allerdings das Menü. Denn im El Poblet werden viele der Klassiker aus dem Mutterhaus in Dénia, dem “Restaurant Quique Dacosta”, übernommen. Auch aktuelle Gerichte werden mehr oder weniger eins zu eins nach València transferiert. Aber immer erst, wenn die aktuelle “Spielzeit” vorbei ist, wenn Dénia auf ein neues Menü umstellt. So lassen sich die Kosten für R&D, also für den Part der Highend-Gastronomie, der für die Erforschung und Entwicklung neuer Ideen zuständig ist, gegen null reduzieren. Clever!
An diesem Abend, dem Finale des València Culinary Meeting, steht der junge Küchenchef Luís Valls gemeinsam mit Albert Adrià und dessen Team aus dem Tickets in Barcelona am Herd. Die beiden verbindet eine enge Freundschaft, heißt es – und eine ganz ähnliche Stilistik. Mein letzter Besuch im Tickets liegt bereits drei Jahre zurück (Bericht hier), gut in Erinnerung geblieben ist mir die starke Inszenierung des Restaurants und der Gerichte, aber natürlich auch das sehr präsente Revival der Molekularküche. Immerhin ist Albert Adriàs Bruder Ferran der Kopf hinter dem berühmten elBulli, dass seinerzeit diese Stilistik prägte, wie kaum ein anderes Restaurant.
Die Gänge werden im steten Wechsel geschickt, auf der Karte mal rot, mal blau markiert – so behält man im Eifer des Gefechts die Übersicht. Auch hier ist das Tempo angenehm hoch. Tatsächlich ist die Markierung fast überflüssig, sehr schnell erkennt man, welcher Gang aus Barcelona importiert wurde und bei welchem Teller die Wurzeln irgendwo zwischen Denia und València liegen.
Und so geht es dann mit der berühmten Olive aus dem Tickets los. Ein Klassiker mit den besten Zutaten aus dem kleinen Chemiebaukasten wie Calciumchlorid, Alginsäure und natürlich Xanthan. Das ist kühl, frisch, sehr olivig, aber eben auch ziemlich artifiziell. Der Holzlöffel, auf dem die Sphäre unter mahnenden Worten gereicht wird “Eat it with one bite, very important, otherwise you will make a mess” ist spröde, schmeckt nachhaltig holzig und wirkt irgendwie auch nicht so wahnsinnig hygienisch.
Bei aller Kritik ist dieser Snack natürlich trotzdem eine schöne Hommage an Ferran Adrià und das El Bulli, wo die Geburtsstunde der Liquid Olive liegt. Weiter geht es mit Mandeln in drei Varianten.
Spannender wird es mit einer Scheibe von Mojama, einem gesalzenem und getrocknetem Stück vom Thunfisch, zart aufgeschnitten mit einem Hauch Salz und etwas Olivenöl beträufelt.
Die beiden nächsten Snacks ranken sich um hochwertige Produkte. Auf einem dehydrierten Kohlblatt serviert Albert Adrià wunderbar dicke Trüffelscheiben. Das funktioniert hervorragend zusammen. Daneben eine kleine Kaviarnocke mit einem Blumenkohl. Hier trügt das Auge, denn statt einem leicht gegarten Röschen handelt es sich um eine Créme, die in eben diese Form gebracht wurde und dank richtiger Temperatur, vor allem aber der ausreichenden Menge Texturgeber, diese auch hält.
Die Kombination Kaviar und Blumenkohl ist klassisch und obwohl ich der denaturierten Textur des Röschens nicht all zuviel abgewinnen kann, funktioniert das hervorragend. Cremig, schmelzend und salzig jodig.
Die kalte Suppe aus grünen Tomaten ist im Stile eine Gazpacho gehalten. Frisch, süß und leicht sauer, sehr intensiv und zusammen mit den rohen Garnelen aus Pato und einem geeisten Schaum aus Tomatenwasser, der dem Fotografen unter der Linse wegschmilzt, ein fabelhafter Gang.
Albert Adriá und Kollegen wandeln mit dem nächsten Gang auf eher klassischen Pfaden. Auf einer Avocadocreme ist ein dünnes aber sehr kräftiges Safrangelée aufgebracht. Darauf thronen drei wunderbare Stücke vom Seeigel. Durch diese einfache wie intelligente Kombination kann man mit jedem Löffel spielen und die drei Komponenten in unterschiedlichen Menge zusammen stellen.
Eigentlich heißt es immer, dass Wagyue als Tatar nicht so richtig funktionieren will. Vielleicht, wie so vieles im Leben, eine Frage der Dosierung. Denn diese kleinen Snacks sind kräftig und die Kartoffelwürfel crunchy, vielleicht auch aufgrund des groben Schnitts des Fleisches, sehr angenehm – trotzdem kann ich mir spannendere Zubereitung aus dem edlen Fleisch vorstellen.
Nachdem bislang viele kleine Gänge so vor sich hinplätscherten, wandelt sich das Menü an dieser Stelle mit einem Schlag. Zum Glück in eine sehr gute Richtung. Denn die Sardine mit Garum ist nicht viel weniger als eine Sensation. Garum, so beschreibt es schon das Apicius Kochbuch aus dem zweiten Jahrhundert, wird wie folgt hergestellt:
Koche ein Sextarium Sardellen und drei Sextarien guten Wein so lange, bis beides zu einer dicken Masse geworden ist. Diese treibe durch ein Haarsieb und hebe sie in Glasflaschen auf.
Diese fermentierte Fischsauce ist entsprechend intensiv, ganz anders als die asiatischen Fischsaucen und wird dem Gericht auch nur fein dosiert untergemengt. Zusammen mit dem Fisch, den Zwiebeln und einigen knusprigen Elementen aus den Gräten findet hier ein kräftiger Fischteller mit starkem mediterranem Charakter und einem wahren Ausbund an Umami zusammen.
Es schließt sich ein alter Klassiker des Hauses an, die rote Garnele aus Dénia. Das Produkt wird als eines der besten seiner Art gehandelt. In der Küche von Quique Dacosta wird sie seit jeher nur in etwas Salzwasser gekocht, vorsichtig herunter gekühlt und bei Raumtemperatur serviert. Ein perfektes Produkt, schonend und ideal zubereitet – mehr geht eigentlich nicht. Die weniger perfekten Exemplare der roten Garnele werden in erster Linie gerillt, dabei ist es nicht so problematisch, wenn durch kleine Risse im Panzer etwas Feuchtigkeit eintreten kann. Bei der gekochten Variante wäre das natürlich eine Katastrophe. Genauso, wie den Kopf der Garnele nicht fachgerecht auszusaugen.
Dazu gibt es separat im Glas einen schweren Sud vom Mangold mit einem Schaum aus den Karkassen der Garnele. Toll!
Es folgt zweimal Foie Gras – in ganz unterschiedlichen Zubereitungen. Die Variante von Albert Adrià umhüllt einen geräucherten und in Kohle gewälzten Aal. Dazu knusprige und hauchdünne Brotscheiben. Sowohl der Aal als auch die Leber sind sicher exzellente Produkte – in der Kombination gewinnen sie aber nicht unbedingt an Ausdruck und Kraft, dennoch ein angenehmer und sehr klarer Gang.
Parallel dazu gibt es einen hauchdünnen Cracker unter einer schmelzend gehobelten Foie Gras. Durch den Crunch und die Leichtigkeit der gehobelten Leber wirkt das sehr elegant und zart, eine Marmelade aus Zitrusfrüchten gibt angenehmen Kontrast, vielleicht etwas zu viel Süße.
Mit dem nächsten Gang nimmt die Komplexität erneut zu. Der “All i pebre” vom Aal ist fast ein Nationalgericht Valencias. Der Albufera-See, nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt ist nicht nur die Wiege des Reis, sondern auch die Heimat vieler Aale. Diese werden für “All i pebre” in ein kräftigers Sofrito auf Basis von Paprika, Knoblauch und Brot gegeben. In dieser luxuriöseren Variante ist der Aal deutlich größer herausgearbeitet und die Sauce von einer wahnsinnigen Tiefe. Selbstverständlich bleibt kein Topfen der Sauce auf dem Teller zurück, sondern wird vollständig mit dem glücklicherweise bereit stehendem Brot aufgesogen.
“Marcusante” wird als eine hauseigene Kreuzung aus Maracuja und Erbse angekündigt, Die Frucht wird theatralisch für jeden Gast am Tisch mit einer Schere geöffnet. Sieht man mal von diesen Taschenspielertricks ab, ist das eigentlich ein toller Gang, denn die Kombination der Frucht mit Erbsen aus Maresme, Geflügelfond und etwas Sojasauce ist richtig gut.
Drei Dings sind an diesem Teller faszinierend: Zunächst die mit einem Brät gefüllten quietschgrünen Bällchen, die gleichzeitig leicht, frisch und trotzdem angenehm fleischig schmecken. Und dann der Fond. Hier ist es nicht nur das Aroma von geräuchertem Schinken, das betörend schmeckt und duftet, es ist zudem die beinahe gelierte Konsistenz. Nachdem ich mich sonst über artifizielle Veränderungen von Texturen kritisch äußere- gelingt das hier perfekt. Wobei nicht auszuschließen ist, dass gar kein Texturgeber im Spiel ist, sondern der Fond einfach so dicht ist, dass alleine durch die leichte Reduktion der Temperatur die Gelierung beginnt.
Der schwarze Reis soll an die Aromen brennender Reisfelder im Herbst erinnern, an dunkle Rauchschwaden die über die kühle Landschaft wabern und in sich die Röstnoten der Gräser mischen. Trüffel und Totentrompeten unterstreichen die Herbststimmung und die in diesem Gericht verarbeitete Taube gibt nochmal zusätzliche Tiefe und Intensität. Dies ist für mich der spannendste Gang des Abends und tatsächlich nah an Poesie, die die erzählerisch grob gesteckte Rahmengeschichte auf dem Teller einfach weiter erzählt.
Hier haben wir ein Übersetzungsproblem: Eigentlich wurde uns der folgende Gang als Bries von der Ziege vorgestellt. Eigentlich aber, so zeigen meine Recherchen im Nachhinein, handelt es sich bei Gizzard vielmehr um den Kau- oder Muskelmagen vom Guirra Schaf. Da fehlt mir dann doch die kulinarische Referenz um das zu erkennen. Vielleicht sogar ganz gut, im Spanischen nicht so sprachsicher zu sein, denke ich im Nachhinein. Aber eigentlich egal, denn es klingt abstruser als es tatsächlich ist, nämlich ein extrem gelungener Teller und der abschließende Gang des Menüs. Separat dazu gibt es die klassische Horchata, eine Art Nussmilch, auf Basis von getrockneter Erdmandel. Hier natürlich deutlich feiner zubereitet.
Mit diesen beiden herausragenden Gängen wird dann auch langsam das süße Finale des Menüs eingeleitet. Was auf den ersten Blick wie ein weiteres Reisgericht wirkt, sind in der Tat Zellen aus dem Orangefilet. Die eigentlich als leichte Schärfe gedachte und wirklich fein dosierte Chili-Zugabe löst bei mir allerdings im ersten Moment einen kräftigen Hustenreiz aus. Von diesem individuellen Schicksal mal abgesehen ein spannender und technisch aufwändiger Gang, ohne dabei die Technik zu sehr zu betonen.
In einer knusprigen Schale aus der Süßkartoffel verbirgt sich ein Sorbet von der Mandarine. Crunchy sweet fingerfood. Toll!
Unter einem hauchdünnen Chip wird im nächsten süßen Gang ein Eis vom karamelisierter Ofenkürbis serviert. Auch das ist richtig gut, fruchtig und nicht zu süß.
Angekündigt als ein Klassiker aus dem elBulli wird schließlich die Horchata-Blume aus Tiger Nut Milk kredenzt. Fragil in der Handhabung ungewöhnlich und sehr intensiv floral in der Aromatik.
Das Zusammenwirken von Luís Valls Rozalén und Albert Adriá hat uns an diesem Abend auf eine Reise quer durch die avantgardistische Küche Spaniens entführt. Vieles war gut, manche Gänge sensationell. Und gerade da, wo sich die Technik etwas zurücknimmt, wo Produkt und Zubereitung klarer zum Tragen kommen, zeigten beide echte Stärken.
El Poblet
Correos nº8
Valencia
Telefon: (+34) 961 111 106
E-Mail: elpoblet@elpobletrestaurante.com
Vielen Dank an das Valencia Turism Board für die Einladung zu dieser Pressreise und die großartige Organisation vor Ort.