An diesem Abend war alle anders. Wir kehrten an einem der heißesten Tage des Jahres, noch angenehm abgekühlt von einem Nachmittag am Liepnitzsee, ein in das Speiselokal am Checkpoint Charlie. Die – und das ist durchweg positiv gemeint – hippsteresken Hallen der Hauptstadtkulinarik öffnen sich für uns. Und das heute für ein rein veganes Menü. Ein Menü, das wir zudem nicht mit Messer, Gabel und Löffel zu uns nehmen werden, sondern mit gänzlich anderem Zubehör: Wir waren geladen zum Steinbeisser Dinner. Einem kulinarisch-kreativem Konzept des gleichnamigen Kollektivs aus Amsterdam.
Wenngleich alles anders war, so war doch vieles wie erwartet. Billy Wagner wuselte als quirliger und eloquenter Gastgeber von Platz zu Platz, immer entlang der langen, u-förmigen Theke, die das wunderbare Interior in weiten Teilen prägt. Dabei sieht man ihn stets mit einer Flasche guten Weines in der Hand, eine Erläuterung zu Winzer, Traube und Prozess auf den Lippen. Und natürlich wies mich der Maestro noch vor dem ersten Gang darauf hin, dass mein Fotoapparat besser wieder den Weg zurück in die Tasche finden möge. Konstanten im Unbekannten. Glücklicherweise hat Caroline Prange im Auftrag von Steinbeisser ohnehin die viel besseren Bilder gemacht, so dass sich dieser Umstand als überhaupt nicht nachteilig erwies.
Genausowenig von Nachteil war zunächst der Verzicht auf Butter, Milch und alle weiteren tierischen Produkte. Obwohl ich gerne die gealterte Butter, die üblicherweise zum Brot gereicht wird, gekostet hätte. Statt dessen wurde an diesem Abend ein Walnussöl serviert. Und ein großartiges Kartoffelpüree, bei dem mit Hanföl gearbeitet wurde. Tatsächlich fehlte hier nichts. Es machte es aber auch nicht zwingend besser als ein sehr gutes klassisches Pürre mit viel Butter. Ist das dann aus omnivorer Sicht Lob oder Kritik an einem veganen Gericht?
Das Bekannte in Frage zu stellen ist das Konzept von Steinbeisser. Nicht nur im Bezug auf die tierfreie Ausrichtung des Menüs, sondern eben auch das Werkzeug betreffend. In diesem Fall sprichwörtlich, denn die Gästen konnten aus Exponaten von Eisenschmied Nils Hint wählen. Das macht Spaß. Und ist lästig. Ein köstlicher Teller vor Augen und nur eine Kneifzange um den Salat zu zerteilen und wenigsten etwas manierlich zum Mund zu befördern nervt. Etwas. Sorgt aber gleichzeitig dafür, den Fokus exakt auf das zu lenken, weswegen man an diesem Abend zusammen gekommen ist. Und, insbesondere an der offenen Theke im Nobelhart & Schmutig, auch für viele Gespräche mit den Nachbarn. Und so hat es eben doch einen ganz eigenen Reiz und löst das Versprechen dieser besondere Erfahrung vollkommen ein.
Das Menü nimmt seinen Lauf. Wir freuten uns über die netten Anekdoten zu den kredenzten Weinen und Bieren. Arrangieren uns mit den stetig wechselnden Werkzeugen neben unseren Tellern. Und dann servierte Micha Schäfer den Blumenkohl. Eine geschmackliche Sensation. Optisch offenbart dieser Teller sich vielleicht nicht auf den ersten Blick, steckt aber voll von intensiven Aromen, voll schwerem und leicht rauchigen Blumenkohl. Mit großem Abstand einer der besten Gänge des Abends und Zeugnis dessen, was in dieser Küche alles passieren kann.
Nach viel Licht folgt mitunter Schatten. Bei uns in Form der Kräuterseitlinge. Trotz wunderbaren Holunders wollte keine rechte Spannung aufkommen. Zu fad waren die Pilze. Frei von Röstaromen. Und das war durchaus so gewollt. Durch Verzicht auf Butter auf der einen Seite und Olivenöle auf der anderen Seite, so erläuterte der Küchenchef, sind diese Röstaromen schlichtweg nicht zu machen. Das ist konsequent. Aber auch schade für den Gast..
Das Dessert entschädigte für diesen kleinen Tiefpunkt und schloss nahtlos dort an, wo der Blumenkohl aufhörte: Wunderbar.
Natürlich haben wir den viel besprochenen und über der Digitalwaage exakt vermessenen Filterkaffe gekostet und uns intensiver mit den Digestifs der umfangreichen Getränkekarte beschäftigt.
Und selbstverständlich werden wir bald zu einem Abend mit dem klassischen Menü des Hauses erneut in das Speiselokal einkehren. Auf der anderen Seite werden wir es uns auch nicht nehmen lassen, den Steinbeissern auf ihren weiteren Stationen zu folgen, denn das Konzept ist schlichtweg bestechend und fordert Gast und Gastgeber. Der nächste Termin findet bei Kimberley Unser in Frankfurt statt, vom 25. bis 27. September. Zum dreijährigen Bestehen des kreativen Kollektivs kocht Zwei-Sterne-Koch Edwin Vinke dann vom 9. bis 11. Oktober in Amsterdam auf (im Lloyd Hotel, einer großartigen, kreativen Location und Homebase der Steinbeisser).
Alle Fotos von Caroline Prange und Steinbeisser