Kochfreunde.com

Kochfreunde.com ist das kulinarisches Magazin von Oliver Wagner. Hier dreht sich alles rund um die beinahe schönste Sache der Welt: Gutes Essen. Dabei reicht der Fokus von Berichten über spannende Restaurants bis hin zu Rezepten aus der eigenen Küche, Kochbücher und kulinarische Gadgets.

Rote Wand Culinary Lab

Ein Abend im Labor mit Jamie Unshelm

Inmitten der imposanten Bergkulisse von Zug bei Lech liegt ein Ort, der mehr als nur ein Hotel mit ausgezeichneter Küche ist: Die Rote Wand ist ein kreatives Epizentrum, ein kulinarisches Ideenlabor auf 1500 Metern Höhe. Nachdem ich mir am Vorabend den Chef’s Table angesehen habe, geht es heute ins kulinarische Labor mit Mastermind Jamie Unshelm.

Im Culinary Lab der Roten Wand verschmilzt alpine Bodenständigkeit mit intellektueller Neugier: Wild, Fisch, Pilze, Waldkräuter und Gartenernte treffen auf altes Handwerk und moderne Technik. Hier wird nicht einfach gekocht – hier entsteht eine neue alpine Identität. Geschmack wird dekonstruiert, rekonstruiert, weiterentwickelt. Dabei dreht sich an diesem Abend im Rahmen einer Masterclass zunächst alles um die drei Arten der Fermentation. Im Anschluss gibt es dann – nach der Theorie – die Praxis und Jamie Unshelm serviert ein ganz außergewöhnliches Menü. Wir sind an diesem Abend zu viert, gemeinsam mit am Tisch sitzen die beiden Betreiber des Les Œillets in Paris, einer sehr unkonventionellen Naturweinbar.

Die Komplexität dessen, was hier in dem kulinarischen Labor entsteht, sprengt den Rahmen eines Workshops (und auch den Rahmen dieses Artikels). Es ist allerdings unlängst ein sehr umfangreiches Buch entstanden, in dem Hausherr  Joschi Walch  gemeinsam mit dem Autor Christian Seiler und Küchenchef Jamie Unshelm sehr detailliert die Ideen und Prozesse erläutern und auch viele konkrete Rezeptideen vermitteln. Unbedingt lesenswert!

Wir erfahren viel über die grundsätzlichen Arten der Fermentation, ihre konkreten Einsatzzwecke und typische Produkte, die so entstehen. Fermentation, so Jamie Unshelm, ist eine seit Jahrtausenden praktizierte Methode, durch die Lebensmittel in erster Linie konserviert werden, in zweiter Linie aber auch ihren Geschmack verändern und für den menschlichen Genuss verträglicher und gesünder werden. Im Lab gelingt es vor allem, den Geschmack zu intensivieren und in andere Aggregatzustände zur überführen.

Milchsäuregärung (Laktische Fermentation)

Typische Lebensmittel: Sauerkraut, Kimchi, Joghurt, saure Gurken, Sauerteig
Mikroorganismen: Milchsäurebakterien (Lactobacillus, Leuconostoc, Pediococcus)

Hier im Bild beispielsweise ein Kimchi aus Wirsing, der gerade angesetzt wurden, außerdem eine Paprika, die durch die Fermentation einen intensiven Saft oder Sud bildet (Lakto-Paprikawasser), der wiederum für ganz eigene Gerichte oder als Geschmacksgeber in Marinaden oder Vinaigrettes funktionieren kann.

Essig-Fermentation

Essigprodukte entstehen meist in zwei Stufen: Zucker wird zu Alkohol (alkoholische Gärung), Alkohol wird zu Essigsäure (Essigfermentation). Während die alkoholische Gärung in geschlossenen Gefäßen stattfindet, braucht die Essigfermentation offene Behälter und die Zufuhr von Frischluft. Hier im Bild übrigens eine Essigmutter, die als aktives Fermentationsmedium, den Alkohol (Ethanol) mit Hilfe von Sauerstoff in Essigsäure umwandelt. Wenige Tage später sollte ich übrigens im Etz dann eine ebensolche Essigmutter auf meinem Teller finden – aber das ist eine andere Geschichte.

Koji-Fermentation (Fermentierung mit Schimmelpilzen)

Typische Lebensmittel: Miso, Sojasauce, Sake, Shio Koji, Amazake
Mikroorganismen: Aspergillus oryzae (Koji-Schimmel)

Ein sehr großes und umfangreiches Thema. Wir konnten zahlreiche selbst angesetzte Sojasaucen und Misos verkosten, daneben auch Garum, das hier nicht nur auf Basis von Fisch, sondern auch aus Wild, Lamm und Taube gewonnen wird. Der Geschmack eines nicht pasteurisierten Misos (anders, als die meisten pasteurisierten Produkte im Handel) ist besonders facettenreich und intensiv.

Sehr spannend auch die Charcuterie végétale, die pflanzenbasierte Neuinterpretation traditioneller Wurst- und Fleischspezialitäten der französischen und europäischen Charcuterie-Kunst – aber ohne tierische Zutaten. Sie verbindet vegetarische oder vegane Küche mit den Techniken und Ästhetiken der Fleischverarbeitung – und ist ein aufstrebender Trend in der modernen Gastronomie.

Noch in der Versuchsküche gleiten wir langsam in das Menü des Abends, beginnend mit einigen Snacks. Besonders erwähnenswert die Bergäsepralinen mit Wachholder und Mädelsüß.

Lamm, Bärlauch und Salzzitrone werden in kleinen Tartlets gereicht. Über das Tatar wird fein geriebenes, getrocknetes Lammherz gegeben – ähnlich wie Bottarga.

Eine fast schon klassische Kombination: Lachsforelle und dessen Kaviar, getoppt mit konservierter Bergamotte, darunter eine Créme aus dem Eigelb und ein Blini. Der Fisch stammt aus einem benachbarten Bergsee.

Der nächste Gang thematisiert eine Variation der Phở, darin ein Gyoza gefüllt mit Keulen von Ente und Taube.

Ebenfalls aus dem Bergsee stammt der ein mächtiger Stör, dessen Filets hier zunächst auf Binchotan-Kohle gegrillt wurden. Kombiniert mit einem Sauerkraut aus Fenchel, aromatisiert mit dem Fett von Nduja und getoppt mit Crispy-Chilli-Flakes.

Für mich könnte diese Aneinanderreihung kleiner Teller eigentlich stetig weitergehen. Immer wieder gibt es Details zu entdecken, neue Produkte aus den Labs zu sehen, vor allem aber spannende Aromen zu entdecken. Denn nichts was hier auf den Tisch kommt ist nur konzeptionell. Wirklich alle Gänge sind hochspannend und in den meisten Fällen dank der komplex verdichteten Aromen ein purer Genuss. So auch das gebratene Bries vom Lamm (!).

Einzig dieser Gang, der Sellerie, Rande und Pfeffer als Überbegriff trägt, gefällt mich nicht zur Gänze. Das mag im Wesentlichen an der Konsistenz der für fünf Stunden ofengegarten Sellerie liegen. Die dunkle Sauce besteht aus Abschnitten des Selleries, die für 48 Stunden eingekocht und geröstet werden. Darunter ein fermentierter Sud aus Rote Beete und Ente.

Nach einem kleinen Sorbet folgt ein Hirsch in zwei Zubereitungen. Zunächst offensichtlich zart gebraten, daneben eine Art Pulled-Deer, das dann wieder komprimiert zusammen gesetzt und erneut gebraten wurde. Darauf Eierschwammerl und ein Kiefernsud. Großartig!

Ganz ähnlich dem Menü des Vorabends am Chef´s Table gibt es auch hier ein Käsedessert auf Basis einer volumniösen Créme vom Bergkäse. Das klingt schwerer als es hier ausgeführt ist: Kleine Stücke gepickelter Gurke sowie eine Vinaigrette aus dem sauren Gurkenwasser lassen den soufflierten Käse viel leichter wirken.

Optisch etwas unscheinbar – aromatisch aber sehr spannend und neu: Birne mit Safran und Sherry – den gibt es dazu passenderweise auch in exzellenter Qualität im Glas.

Der Fujisan ist ein Gebäck irgendwo zwischen Croissant und Brioche. Den ganz besonderen Twist erhält dieses Exemplar allerdings durch eine Glasur mit flüssigem Lammfett. Somit changiert der letzte Dessertgang irgendwo zwischen süß und herzhaft. Wobei die Lammnote nach dem ersten Gaumenkontakt auch wieder schnell verfliegt. 

 Ein Abend im Culinary Lab der Roten Wand ist ein besonderes Erlebnis – ganz gleich wie intensiv man sich mit der modernen Fermentationsküche beschäftigt. Diese steht hier nicht als Dogma über allem, sondern wird geschickt eingesetzt um Produkte zu verändern, in den meisten Fällen um sie zu intensivieren. Man kann sich zurücklehnen und einfach ein sehr gutes und sehr einzigartiges Menü genießen, das geprägt ist von den Aromen der Alpen.

Wissbegierige können aber auch den regelmäßigen Blick (und Gang) in die offene Küche wagen, Jamie Unshelm über die Schulter schauen, Fragen stellen und viel Neues rund um Fermentation und viele andere Küchentechniken erfahren.

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Restaurant Etz, Nürnberg

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