Kaum ein Kochbuch habe ich im letzten Jahr mit soviel Spannung erwartet, wie das neue Buch von Tim Raue. Genauso steht auch ein Besuch in seinem Berliner Restaurant ganz oben auf meiner kulinarischen ToDo Liste für 2013.
Für stolze 75,- EUR erhält man mit My Favorite Things. Berlin & Hongkong ein extrem Coffetable-taugliches Buch im Leinen-Einband, inklusive Schuber und insgesamt gut 550 Seiten voller Inspiration.
Es gibt unter digitalen Gestaltern und Webentwicklern ein seit Jahren anhaltendes Meme, rund um die oft “überkreative” Gestaltung von Architekten-Webseiten. Kurz: Der Wunsch, seine Kreativität und Individualität auch in anderen Disziplinen auszudrücken, ohne aber wirklich die entsprechende Kompetenz en Detail mitzubringen. An dieses Meme fühlte ich mich bei der ersten Durchsicht des Buches erinnert. Die meisten Rezepte erstrecken sich auf vier Seiten, beginnend mit einem Foto auf der ersten und ein oder zwei typografisch sehr individuell gesetzten Sätzen als Einführung in das Gericht. Natürlich kann man das so machen, dennoch wirkt es auf mich etwas unbeholfen oder improvisiert. Allerdings verleiht es dem Layout auch eine hohe individuelle Note, was natürlich in aktuellen Kochbüchern extrem wichtig ist.
Die vielen hundert, größtenteils fabelhaften Fotos, stammen übrigens aus der Kamera von Luzia Ellert, die in letzter Zeit so ziemlich alle Ge(-wichtigen) deutschsprachigen Kochbücher bebildert hat. Das ist technisch durchaus hervorragend gelungen, man erkennt auch den klaren Auftrag nach einer individuelleren Bildsprache – gänzlich gelingt das aber über das gesamte Buch hinweg leider nicht.
Lässt man diese kleinen Kritikpunkte aussen vor und sich selbst auf das Buch ein, versteht es My Favorite Things gut, schnell seinen Reiz zu entfalten. Tim Raue nimmt den Leser mit auf seine kulinarische Reise zwischen Berlin und Hongkong und vermittelt die Rezepte sehr authentisch und dabei mitunter verlockend einfach klingend. Dabei erweist sich die Trennung von jeweiligem Gericht und den zugehörigen Basisrezepturen als sehr praktisch, allerdings natürlich auch etwas “verharmlosend”. Es sind aber eben diese Basics, die den Unterschied machen – und die in der professionellen Küche natürlich regelmässig (vor-)produziert werden. Genauso wird natürlich nicht jeder Hobbykoch auf Sous-vide oder Pacojet Equipment zurückgreifen können. Auf der anderen Seite gibt es auch zahlreiche Fisch- und Fleischgerichte die ihren speziellen Ausdruck durch die Verwendung von Sossen aus dem Asialaden erzielen, die natürlich leicht einzukaufen und zu verwenden sind – wenn man weiß, wie. Und genau dieses Spektrum macht dann nicht nur die Faszination des Buches aus. Diese klare, ergebnisfokussierte Arbeitsweise wird sich sicher so auch in der Küche von Tim Raue wiederfinden. Denn genau dort lassen sich die komplexeren Gerichte sicherlich am allerbesten Essen.
Ein fabelhaftes Buch, individuell und nicht zuletzt auch durch die aufgezählten kleineren Marotten angenehm Abseits vom Mainstream, dabei macht es nicht nur Lust auf die Rezepte, sondern auch auf das Restaurant Tim Raue und die Entdeckung der Aromen, Genüsse und Gerüche aus den Küchen zwischen Berlin und Hongkong.