Ein Storyboard für einen Film über den Chef’s Table in der Roten Wand würde mit schnellen Schnitten beginnen: Kontraste, Berge, urbane Dynamik. Eine Google-Earth-Animation zoomt auf das kleine Zug in den Vorarlberger Alpen auf 1.500 Metern – dann der globale Sprung: New York, Wien, Kopenhagen.. Synapsenartig springt die Erzählung zwischen lebendigen Weltstädten und alpiner Stille. Schließlich beruhigen sich Bild und Musik: ein langsamer Schwenk auf Julian Stieger am Herd. Seine Teller – regional, klassisch, mit avantgardistischen, oft femininen Akzenten – füllen die Leinwand. Im letzten Bild tritt Joschi Walsch an seine Seite.
Diese Inszenierung steht sinnbildlich für das Konzept der Roten Wand Gourmet Hotel & Chef’s Table: Ein luxuriöses Designhotel in den Alpen, das nicht nur richtig gutes Essen bietet – sondern Kulinarik ins Zentrum seines Selbstverständnisses rückt. Ob beim Frühstück, dem Lunch für Hotelgäste, den legendären Fondue-Abenden oder im Culinary Lab: Die Küche ist der Herzschlag des Hauses.
Die Idee zum Chef’s Table kam Joschi Walch auf einer Reise nach New York – genauer gesagt: beim Besuch des berühmten Chef’s Table at Brooklyn Fare. Zurück in Zug, im Stammhaus der Familien Walch mit über 300 Jahre Geschichte und 60 Jahren Gastlichkeit, begann ein mehrjähriger Entwicklungsprozess. Erst der Verkauf seines weltweit tätigen Cateringunternehmens ermöglichte das Projekt und legte den Grundstein für das, was die Rote Wand heute ist. Ein entscheidender und ungewöhnlicher Vorteil zu den meisten Hotelkonzepten, die stärker unter dem Einfluss von Investoren und Banken stehen.
Ein Menü in 15 Gängen am Chef’s Table der Roten Wand
Frei von monetären Einschränkungen konnte gebaut und erneuert werden. Im ehemaligen Schulhaus, direkt angrenzend an das Hotel, entstand in der oberen Etage eine offene Küche mit umlaufender Theke sowie eine gemütliche Stube im Erdgeschoss, in dem auch das Menü und die Präsentation der Produkte startet. Zunächst kochte hier Shootingstar Max Natmessnig, heute wieder zurück in New York: als Küchenchef im Brooklyn Fare. 2022 übernahm Julian Stieger – zuvor im Eleven Madison Park in NY und im Geranium in Kopenhagen. Der 31-Jährige wurde kürzlich vom Guide Michelin als Young Chef des Jahres ausgezeichnet. Das Restaurant trägt aktuell zwei Sterne, 18,5 Gault-Millau-Punkte, 96,5 Punkte bei La Liste und 97 bei Falstaff.
Der Abend beginnt in der Stube mit fünf Snacks und einer Einführung in die zentralen Zutaten der kommenden 16 Gänge. Viele Produkte stammen aus dem unmittelbaren Umland, einige direkt aus den hauseigenen Gärten. Die Inszenierung – die Vorstellung der Hauptzutaten zu Beginn sowie die Aufteilung des Menüs auf zwei Etagen – erinnert an Konzepte wie Frantzén in Kopenhagen oder das 100/200 in Hamburg, ist jedoch inzwischen häufiger anzutreffen. Der große Vorteil aus Sicht der Gäste: Durch die gebündelte Einführung zu Beginn kann die Anmoderation der einzelnen Gänge später reduziert und fokussierter gestaltet werden.
Nach der Auswahl der ersten Getränke vom bestens ausgestatteten Schaumweinwagen beginnt die kulinarische Reise. Was zunächst nach einem unscheinbaren Creme-Süppchen aussieht, entpuppt sich beim ersten Schluck direkt als intensive Umami-Bombe. Die Infusion basiert auf den geräucherten Karkassen vom Zander, die anschließen nochmal für zwei Wochen in den Dry-Ager wandern. Daraus entwickeln sich die tiefen Rauch-Aromen, ein Garum vom Zander und etwas Hefe sowie alter Portwein geben weitere Komplexität.
Als weiterer Snack folgt ein alpiner Cheesecake mit einer üppigen Portion von kräftigem N25 Baerri Kaviar. Der knusprige Boden wirkt zunächst wie ein typischer Keksteig, ist aber aus Sesam, Mohn und Schalotten hergestellt. Ein Hauch von Kiefer stellt zusammen mit dem lokalen Frischkäse die alpine Verbindung wieder her.
Eine elf Jahre alte Milchkuh wurde für diesen Gang zu einem intensiven Tatar verarbeitet, das elegant mit dünn geschnittenen und konfierten Portobellopilzen getoppt wurde. Kleine Kohlrabiwürfel steuern einen leichten, frischen Akzent bei. Zusätzliche Komplexität gibt eine am Tisch angegossene Dashi aus geräucherten Pilzen.
Ein wunderschöner Brioche Toast mit Wildschwein, geräucherte Creme Fraiche, Lardo und reichlich gehobeltem Trüffel ist dann ein weitere perfekter Begleiter zum Champagner – das zweite Glas hat unseren kleinen Tisch mittlerweile erreicht.
Choux,ein Brandteig, wie man ihn auch aus Profiteroles kennt, wurde hier herzhaft kombiniert, gefüllt mit Aal vom Bodensee , überzogen mit ungestopfter Foie Gras und einem Abrieb von der Hollunderbeere. Ein stimmiger, überraschender Gang.
Ein weiteres Highlight aus den Komponenten Kartoffel, Eigelb, Kaviar (sowie unten im Tiegel: Knochenmark!). Das kleine Tartelette lassen wir auf Empfehlung von Julian Stiegler im Ganzen in den Tiegel mit Kartoffelschaum gleiten, rühren leicht und genießen. So könnte es eigentlich immer weiter gehen – aber für die kommenden Stunden werden wir nun eine Etage höher geleitet – an den Chef’s Table.
Der erste Gang am neuen Platz heißt schlicht Forelle, besticht aber zunächst vor allem durch den intensiven vegetarischen Sud. Eine lange Fermentation mit Hefe ist dafür ausschlaggebend, sowie Schafgabe, Waldmeister und geräuchertes Öl. Der Sud kontrastiert den feinen, nur leicht geräucherten Fisch ganz hervorragend. Ein sehr eleganter Auftakt.
Das Steckrübengratin hat sich zu einem der Signature-Gänge des Hauses entwickelt. Komplex, kross , erdig und beeindruckend, was sich aus vermeintlich einfachsten Produkten kreieren lässt. Der Prozess ist allerdings auch alles andere als einfach: Aus der Rübe wird zunächst ein Mille Feuille geschichtet, dann unter Gewicht gepresst und so ausgebacken. Weitere Bindung gibt dabei eine Béchamel mit kräftigem Bergkäse. Obenauf sorgen weitere Zubereitungen von der Rübe für mehr Textur: Gehackt und zu Bröseln verarbeitet. Eine vegetarische und sehr leichte Meerrettich Beure blanc bringt dann die passende Balance, Säure und leichte Schärfe.
Das Blutwurstbrot, der einzige Brotgang des Menüs, verwendet die Blutwurst direkt eingearbeitet in den Teig, der anschließend gedämpft und kurz vor dem Servieren nochmal heiß ausfrittiert wird. Dazu Roscoff-Zwiebel-Marmelade und Kräutermayonnaise, Kräutersalat und ein üppiger Berg schwarzer Périgord-Trüffel.
Die finale Zubereitung des Kapauns auf dem Yakiniku-Grill konnten wir in den letzten Minuten bereits intensiv beobachten. Im steten Wechselspiel der Temperaturen wurde die Brust immer wieder kurz auf das Feuer gegeben um danach einige Momente ruhen zu dürfen. Kapaun ist übrigens in Österreich nicht erlaubt, deswegen werden die Hähne (nach der namensgebenden Kastration) aus dem Piemont importiert und wachsen dann weitere 6-12 Monate auf der Bergwiese.
In der Küche am Chef’s Table wird nicht nur arrangiert und angerichtet- nahezu alle Kochprozesse finden direkt im Kreise und vor den Augen der Gäste statt.
Der Hecht im Zentrum des folgende Ganges wurde zur Rolle geformt , darin eine Farce aus bayerischer Garnele und dann ebenfalls kurz auf der Binchotan Kohle angeröstet und anschließend tranchiert. Am Tisch wird eine intensive tiefe Sauce auf Basis von Pfifferlingen, Nüssen, grüner Erdbeere und erneut N25 Kaviar angegossen.
Ein Sorbet aus Sanddorn, Kürbis und Safran ist weit mehr als eine kleine Erfrischung vor dem Hauptgang. Auch hier ist die Tiefe der Produktaromen erneut ganz klar herausgearbeitet.
Ein weiterer Gang, dessen finale Zubereitung man über den Abend wunderbar beobachten konnte. Die Ente wurde zuvor bereits 14-16 Tage dry aged und dann mit Honig, vielen heimischen Kräutern und Peffer überzogen. Zunächst gart sie im Ofen bei großer Hitze, danach folgt eine lange Ruhephase von fast 25 Minuten, um auf die exakte Kerntemperatur nachzugaren. Wobei es hier zunächst nur um die Brust geht, die weiteren Komponenten werden zu einem Ragout verarbeitet, dass den Gästen am Folgetag serviert wird. Daneben noch eine kräftige Sauce auf Basis des Fonds aus der Karkasse, Steinpilzen und Tonburi. Ein sehr puristischer und großartiger Teller, rund um ein exzellentes Produkt und Handwerk auf höchstem Niveau.
Ein kleiner aber sehr intensiver Käsegang läutet das Finale des Abends ein: Der intensive Bergkäse, der die Basis bildet, ist über 5 Jahre gereift und wird mit Holunder und einem 35 Jahren alten Balsamico kombiniert.
EIn fast schon klassisches Dessert beschließt die Menüfolge am Chef’s Table: Ein Mousse von Apfelholz, Apfel, Melisse, japanischer Mispel und gerösteter weißer Schokolade bildet die Basis für ein Sorbet vom Bratapfel und einer Sauce aus salzigem Caramell.
Wieder zurück in der Stube schließt der Abend mit einem exzellenten Hefe-Zimt-Schnecke und einer veganen Créme Chantily auf Basis von Hafermilch. Dazu gibt es einen Tee aus gesammelten Wildkräutern.
An diesem Abend habe ich neben der klassischen Weinbegleitung auch verschiedene Getränke aus dem alkoholfreien Pairing probiert. Besonders die teebasierten Drinks sind hier sehr hervorzuheben, spannend auch eine Kartoffelsuppe (die nicht so schmeckt, aber exakt so duftet).
Egal ob im Winter zur Skisaison oder im Sommer zum Wandern und Mountainbiken – die Rote Wand ist ein Muss für alle, die nicht nur eine luxuriöse Auszeit genießen, sondern auch alpine Spitzenküche erleben möchten. Je nach gebuchtem Paket und Reisedauer, gibt es auch Optionen, die einen Abend an der Chef’s Table einschließen und auch zum Besuch ins Culinary Lab einladen.
Eine Reise in die Rote Wand ist ein besonderes Erlebnis und ein echter Deep Dive in die neue alpine Küche und die wunderbare Berglandschaft Vorarlbergs.
Rote Wand Gourmet Hotel
Zug 5,
A-6764 Lech am Arlberg
Österreich
- Seiler, Christian(Autor)