Das weitläufige Relais & Châteaux Anwesen verbindet die denkmalgeschützte Burgruine mit einem modernen Hotel und insgesamt drei Restaurants. Die Ruine ist indes nicht ganz so alt, wie man auf den ersten Blick zunächst denkt: 1876 wurde sie von der Familie Mumm in Anlehnung an mittelalterliche Architektur errichtet. Seitdem wechselte die Burganlage häufiger den Besitzer. Seit 2004 ist das Anwesen in den Händen von Ursula und Ernst Udo Grossmann, die es in die Gegenwart überführt und schrittweise ausgebaut haben. Teil dieser Vision: Das Restaurant Schwarzenstein.
Die Zimmer sind groß, modern, geschmackvoll und exzellent ausgestattet. Das entscheidende für uns aber: Die kurzen Wege. Denn natürlich ist es nicht die Ruine, sondern eben das daneben liegende Restaurant, das uns in den Rheingau lockt. Und vor allem dessen neuer Hauptdarsteller: Nils Henkel. Seit Anfang 2017 wirkt er hier als Küchenchef. Mit im Gepäck nicht nur seine Pure Nature Küche, sondern auch Sous-Chef und langjähriger Wegbegleiter Robert Rübsam aus dem Schlosshotel Lerbach. Und natürlich finden sich auch die beiden Menüs rund um Flora oder wahlweise Fauna hier im Rheingau. Nils Henkel zählt zu den absoluten Vorreitern und Koryphäen der modernen deutschen Gemüseküche. Der 48 jährige gebürtige Kieler wurde 2009 vom Gault Millau zum Koch des Jahres gekürt. Damals leitete er erst zusammen mit Dieter Müller das Gourmetrestaurant im Schlosshotel Lerbach, bevor er kurz darauf das Zepter vollständig übernahm. Von 1998 bis 2011 hielt es drei, später zwei Michelin-Sterne. Ende 2014 gab die Althoff-Gruppe das Haus ab und setze dem Gourmetrestaurant ein jähes Ende.
Jetzt, drei Jahr nach diesem Cut, ist Nils Henkel wieder mitten im Geschehen – und jüngst für die herausragende Arbeit im Restaurant Schwarzenstein nun erneut mit zwei Michelin-Sternen und 18 Gault&Millau Punkten ausgezeichnet!
Am Abend unseres Besuches, nur drei Tage vor der Bekanntgabe der Sterne 2018, kursierten bereits leise erste Gerüchte – wirklich verbindliches wusste aber niemand. In dem Moment aber fast egal, denn der Fokus aller Beteiliger galt heute einem Menü, das ganz vollkommen ohne jeden Zweifel auf absolutem Sternekurs war. Genau genommen galt der Fokus sogar zwei Menüs, denn natürlich haben wir beide Varianten gewählt: Das vegetarische Flora-Menü und Fauna, rund um Meerestiere, Fisch, Geflügel und Kalb.
Den Auftakt machen vier ganz unterschiedliche Amouse. Darunter ein sensationeller Wantan mit Hummerfüllung in einem Sud aus Calamansi und Ponzu, ein Tapioka-Chip mit Rindfleisch und Koriander, ein Parmesan-Biskuit unter einer Artischockensphäre, und ein sensationeller Fregola-Salat mit Muscheln, Algen und gepufftem Safranreis. Dazu ein Glas Winzersekt vom Weingut Schönleber – und der Blick aus dem Restaurant über die weitläufigen Weinberge vor den bodentiefen Fenstern.
Als Prolog vor dem Menü eigentlichen Menü kommt ein kleines und kross auf der Haut gegartes Stück vom Ora King Lachs mit extrem intensiver Créme von geröstetem Sesam. Bereits ein guter Vorgeschmack auf die zahlreichen herausragenden Fischgänge die im Verlaufe des Abends noch folgen werden…
Eine echte Gefahr stellt hingegen das knuspriges Brot mit gesalzener Butter, Oxaliscrème und einer sensationellen, cremig aufgeschlagenen Nussbutter dar.
Das Menü startet mit einem wunderschönen Carabinero. Der große Planktonvertilger wird fruchtig mit Avocado und Varianten von der Tomate begleitet. Das knusprige Röllchen hält neben etwas Crunch noch die leichte Schärfe der Jalapeño bereit. Ein sehr gelungener Auftakt!
Genauso wie auf der anderen Tischseite. Der profan als Bauernsalat angekündigte Teller erweist sich als eines der schönsten Gericht des Abends: Das Zusammenspiel aus Bohnen, Gurke und einer Créme von Schafskäse ist exzellent.
Im Flora Menü folgt ein gerösteter Mais mit Vogelmiere und Butterbröseln. Der Kolben ist auf dem Green Egg gegrillt und voller intensiver Röst- und Raucharomen.
Der auf der Haut gebratene Petersfisch bildet das Zentrum eines ungewöhnlich intensiven und kräftigen Fischgangs. Ihm zur Seite steht ein Sepiachip, Räucheraal, schwarz gefärbte Gemüsecreme und ein großartiger Paellasud.
Vegetarisch geht es derweil mit einem Gericht mit Varianten vom Topinambur, einem der Lieblingsgemüse von Nils Henkel, Schildampfer und Pedro Ximenez Essig köstlich und kräftig weiter.
Die Ceviche im nächsten Gang hätte man im Menü vielleicht weiter vorne verortet, da sie eher mit Säure und Frucht spielt und weit weniger kräftig als der Petersfisch daher kommt. Auf der anderen Seite setzt sie so einen größeren Akzent. Die Kombination mit Koriandersamen und -schwamm, Blumekohl und Grapefruit ist sehr spannend.
Die Miéral-Taubenbrust thront auf einer confierten Zwiebel, schwarzer Knoblauchcreme und einem Lorbeersud. Die Innereien des edlen Federviehs kommen als Sandwich unter Eiweißperlen. Das klingt verrückter als es ist. Mit der Taube sollte ich mich viel intensiver befassen. Auch in der eigenen Küche. Ein hochgradig spannendes Produkt.
Flora wird mit einem Sandwich fortgesetzt. Sellerie, Pfifferlinge und eine Trüffelvinaigrette ergänzen sich zu einer Kombination, die wesentlich tiefgründiger und facettenreicher schmeckt, als man aus der Summe der Komponenten erwarten würde.
Das Kalbskotelett aus dem Schwarzwald markiert den dramaturgischen Höhepunkt des Fauna Menüs. Die Vorfreude weckt eine heiße Pfanne mit sanft brodelndem Butterschmalz, die der Service am Tisch präsentiert. Darin ein großes Kotelett, kräftig geröstet unter diversen Kräutern. Auf dem Teller wird es dann wenige Minuten später als menügerechte Tranche serviert, ergänzt durch Kürbis als Chutney, Pickles und Püree, Kräuterseitlingen und einem Markklößchen. A part dann noch ein extrem kräftiges Lungen-Haché vom Kalb.
Derweil wird auf der mit gegenüber sitzenden vegetarischen Seite ein Raviolo mit Eigelb und Comteschaum genossen. Ebenfalls ein sehr feiner und ausgewogener Gang, gegen meine Taube hätte ich allerdings nicht tauschen wollen.
Ein leichtes, fruchtig frisches Dessert rund um den Weinbergpfirsich stimmt uns langsam auf den Auskalng des Menüs ein, bevor dann mit Zwetschge und Schokolade das Finale folgt. Beide Desserts sind eher klassisch um Frucht bzw. Schokoladen- und Nusskomponenten gearbeitet und bieten nach den durchaus komplexen und abwechslungsreichen Menüs einen unkomplizierten und genussreichen Abschluss.
Wobei: Den Abschluss bildet ein Epilog aus diversen kleinen Köstlichkeiten, erneut zwischen Schokolade, Frucht und Säure. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Blumenkohl-Macaron. Vielleicht der beste seiner Art.
Das Restaurant Schwarzenstein zählt für mich zu den spannendsten Adressen in Deutschland. Die Küche von Nils Henkel und seinem Team ist fein und elegant austariert, scheut sich aber auch nicht vor einzelnen starken Akzenten und Aromen. Der Service von Maître Marina Saldaña Alonso, Sommelier Michel Fourquet und Max Wilbrand ist einerseits sehr fachkundig und kompetent, gleichzeitig aber auch extrem entspannt, fröhlich und souverän.
Eigentlich müsste man mindestens für zwei Nächte nach Geisenheim reisen, zum einen um beide Menüs vollständig genießen zu können, zum anderen um das Hotel weit intensiver nutzen zu können, als wir es in den wenigen Stunden konnten.
Und natürlich bliebe dann auch Zeit, die Weinberge der Region näher zu betrachten, bei uns blieb es bei den Begegnungen im Glas.
Wir fragen oft ein reguläres Menü und eine vegetarische Variante an. Das ist meistens, erschreckender Weise aber längst nicht immer möglich. So konsequent, souverän und eigenständig wie Nils Henkel das Flora Menü umsetzt, bereichert durch produktzentrierte Kreationen und intensive Aromen, gelingt das auf diesem Niveau nur wenigen.
Burg Schwarzenstein
Restaurant Schwarzenstein – Nils Henkel
Rosengasse 32
65366 Geisenheim-Johannisberg
Geöffnet Mittwoch-Sonntag