Und da ein spezielles Dinner nach einer speziellen Location verlangt, wurde nicht im Restaurant gespeist, sondern eine Etage tiefer in der Butchery mit direktem Blick auf die riesige Küche, in der sonst Christoph Rüffer Regie führt. Ein großer Vertrauensbeweis, dass er an diesem Abend Restaurant, Mannschaft und das Zepter exklusiv an Christian Hümbs übertrug. Ohnehin ein Beweis für die Offenheit gegenüber regelmässigen Veränderungen und dem Bekenntnis, sich selbst immer wieder neu zu erfinden und neue Wege zu gehen.
Ein Novum war an diesem Abend auch die Getränkebegleitung, denn statt Wein und Champagner ging es zunächst eher alkoholfrei zu. Zum Auftakt mit einem Aperitif aus Terra Tulsi Tee, der im Anschluss auch die ersten Amuse in einer klassisch gebrühten Variante begleitete. Und dabei ganz hervorragend passte und die zarten Aromen von Kürbis, Kokos und Estragon unterstützte.
Der erste offizielle Gang, eine wunderschöne Kombination von Rhabarber, Petersilie, Verbene und Sauerteig wurde zusammen mit einem pHenomenal Tonic mit Rhabarber serviert. Ein toller Tonic, genaugenommen ein Sirup, aus dem man selbst eigene Tonics zaubern kann. Direkt aus Hamburg.
Im Prinzip verkörperte dieser erste Gang bereits direkt die Essenz dessen, was man aus Christian Hümbs Pâtisserie erhoffen kann: Einen extrem filigranen Teller, das große, ausbalancierte Spiel der Aromen, Texturen und Temperaturen, die neue Interpretation von Produkten zu einem spannenden und erst schrittweise zu dekodierendem Gesamtwerk. Famos. So kann es weitergehen.
Und geht es auch. Mit einem aktuellen Klassiker, der hier aussergewöhnlich unglücklich bildlich festgehalten ist, aber zum Beispiel in diesem Video bei den Kollegen der Sternefresser in seiner Entstehung zu bewundern ist: Sushi.
Es folgt einer meiner Favoriten des Abends, ein sehr sämiger und mit angenehm geringen süßen Anklängen komponierter Teller mit Kartoffel und Fromage Blanc, mit leichter Säure aus dem grünen Apfel. Zu meiner großen Freude schwenkt die Getränkebegleitung in diesem Fall dann doch in Richtung Wein, genau genommen zu einem Glas Fontanasanta Manzoni Bianco.
Die kleine Petitesse, die als Zwischengang gereicht wurde, schaffte es zwar nicht mal auf die Menükarte, wurde aber um so begeisterter an unserem Tisch aufgenommen. Schlicht und dafür auf den Punkt: Ein Eis von der Beurre blanc, dazu ein Blatt Salat. Wunderbar frisch und doch von einem tiefen klaren Aroma zeugend.
Der Hauptgang des Abends folgte dem hoch geschätzten, aber insgesamt in der Menüfolge etwas repetitiven Spiels der Texturen. Er setzte erneut auf Sphären, wirkte aber als einziger Teller noch etwas unausgewogen. Wobei die Tomate als Protagonist natürlich ideal ist, bringt sie direkt süße und säuerliche Texturen mit auf den Teller. Leichte Anklänge von Rauch geben zusätzliche Tiefe. Insgesamt erinnerte mich dieses Gericht konzeptionell an die Douglasie, die ich neulich im Rahmen eines Menüs im Haerlin gewählt hatte, wobei mir letztere noch etwas besser gefiel. Begleitet wurde dieser Gang von einem Old Tom Chocolate Beer, eine wunderbare Kombination, wobei etwas weniger Säure im Gericht die Verbindung vielleicht noch etwas zugänglicher gemacht hätte.
Der letzte Gang des Abends folgte optisch dann eher den klassischen Dessertassoziationen und steigerte die süßen Anteile merklich, wirkte gleichzeitig aber auch sehr frisch und leicht. Ein zarter Crunch in Verbindung mit Joghurt, Honig und Sandelholz. Die leichte Säure des servierten Apfel Seccos wirkte sehr passend. Warum dieser allerdings ausschließlich in einer alkoholfreien Variante den Weg an unseren Tisch fand erschloss sich uns nicht wirklich.
Abschließend wurden noch einige Petit Four in herzhafter Ausprägung gereicht.
Man kann den Hut nicht Tief genug ziehen vor dem großen Handwerk und der großen Innovationskraft, die von der Küche Christian Hümbs‘ ausgeht. Künftige Gänge aus der Pâtisserie werden sich an diesen Eindrücken messen lassen müssen – und sie werden es wahrlich nicht leicht haben.
Es freut mich zudem sehr, dass ein so traditionelles Haus wie das Haerlin den Freiraum für diese Experimente einräumt. Das gesamte Team wirkte ohnehin an diesem Abend so angenehm frei, offen und gelöst – es war uns eine große Freude.